Es ist ein
schönes Gefühl, wieder am Terminal zu sitzen, mit dem Laptop auf dem Schoß, den
goldenen Duft von Flughafenkaffee in der Nase, umgeben von friedlichen,
vergleichsweise entspannten Menschen, minding their own business. Wenn ich Leuten
erzähle, dass ich fast einen Tag lang unterwegs sein werde, bis ich in Afrika
lande – Berlin, Paris, Amsterdam, Nairobi – haben sie meistens Mitleid mit mir.
Oh Gott, der lange Transit. Flughafen, ach wie schrecklich. 10 Stunden Fliegen,
du Arme. Ja, ich Arme. Die Wahrheit ist – ich mag Flughäfen. Ich mag Fliegen.
Reisen, unterwegs sein von Deutschland nach weit-weg (oder zurück) ist eine
ganz spezielle Zone für mich, ein anderer „Space“, kombiniert auch mit anderem
Mindset – es gibt nichts, was ich hier tun kann, oder muss; ich „stecke fest“
in einer neutralen Zone ohne Stress, ohne Zeit (meistens jedenfalls), und meine
einzige Aufgabe ist es, in ein Flugzeug zu steigen und später wieder heraus.
Ich merke jetzt schon, wie etwas in mir sackt, als wäre ich eine Tasse voller
Wasser und Sand, die jemand ständig durchgerührt hat, und die jetzt zum ersten
Mal zur Ruhe kommt. Der Sand sinkt langsam zu Boden.
Es ist ein
heißer Tag, ich habe kaum geschlafen, und so lege ich mich nach dem gemeinsamen
Mittagessen faul und schläfrig in den Garten, genieße die klare Luft, die
Geräuschkulisse aus all den Vogelstimmen und Insektensummen, einem
gelegentlichen Affen- oder Eselsschrei (Lizzy hat eine ganze Herde Esel, ich
muss sie mal fragen, wie viele das eigentlich sind) und eine feine Brise.
Krass, dass man innerhalb doch relativ kurzer Zeit einfach um ein Drittel der
Welt reisen kann, und plötzlich ist alles anders. Plötzlich sind da wieder die
ganzen altbekannten und geliebten Geräusche und Gerüche; wie heimelig sich der
Klang von übers Wellblechdach galoppierenden Affenpfoten anfühlt!
Uns geht es
gut, wir sind gebettet in den weichen Federn des Wohlstands; alles, was diese
Flughäfen für uns bieten, ist Zeitvertreib – Luxus, Futter, Genuss,
Entertainment, einfach nur um unser Dasein, unsere Zeit angenehm und kurz zu
machen. Um davon abzulenken, dass wir „warten müssen“. 98% der Augen hier flimmern
über Bildschirme, Smartphone, Tablet, Laptop – ein einziger Mensch liest ein
Buch, und jemand schaut aus dem Fenster. Vielleicht lesen auch mehrere Bücher –
ebooks – auf ihrem Screen. Jedenfalls ist es ruhig deswegen, ich fühle mich
friedlich und sicher.
Berlin hat
damit begonnen, mich kaputtzumachen, auf seine leise, charmante Art und Weise.
Wie es eben so ist im Leben – man gewöhnt sich nur immerzu an alles, und wenn
man lange in dem Glas mit aufgewirbeltem Sand schwimmt, merkt man nicht mehr,
dass das Wasser trüb ist und man die ganze Zeit in einem Strudel im Kreis
wirbelt. Die kurze Pause – raus aus der Stadt, aus dem Fitnessbusiness, in die
schonungslos natürliche Natur der Schwäbischen Alb – hat mich herausgerissen,
mir gezeigt, wie ich eigentlich sein könnte, als wären die äußeren Schichten
von klebrigem, rußigem Schmutz plötzlich aufgeweicht, als wäre ich plötzlich
wieder mehr ich, wild und frei und lebendig, als hätte man die Löwin aus ihrem
Käfig im Zoo für eine Woche in die Savanne gesetzt, nur damit sie mal gucken
kann. Als sie wieder in den Käfig zurücksollte, flippte sie aus. Ich kann sie
verstehen. Ich versuche auf sie einzugehen. Zur Zeit kein Kaffee mehr, den ich
nur noch benutzt habe, um alles zu schaffen, was ich glaubte schaffen zu müssen
– eine Woche lang hat mich der Entzug vollkommen niedergeballert, ich wollte
nur schlafen, meine Stimmung war gedrückt, mein Kopf wollte platzen. Als könnte
ich mein Leben nur ertragen, wenn ich sogenannte „Genussmittel“ genieße – und
benutze. Natürlich schmeckt mir Kaffee – oh Gott, ich LIEBE Kaffee – aber er
macht eben doch etwas mit mir, wie mit den meisten Menschen, die immer nur so
tun, als wäre das nichts, als wären sie ohne Kaffee genau dieselben Menschen.
Ich schätze es, wenn Leute wenigstens zugeben, dass sie „ohne Kaffee nicht
könnten“, dass sie „wahrscheinlich eine Woche nur schlafen würden“ oder
„Kopfschmerzen wie ein Tier“ bekommen. Das ist die Wahrheit. Kaffee ist die
sozial anerkannteste Droge der westlichen Gesellschaft, unsere Leistungsdroge,
das Benzin im Konsumsystem, das von einer breiten Masse kleiner, schuftender
Menschen lebt, die sich bis an (oder über) die Grenze rackern, um sich dann
mittels Konsum abzulenken. Kaffee schiebt die Grenze ein wenig nach oben –
duftend, und wohlschmeckend, und warm und mit dem Charme von Entspannung,
Genuss und Gemütlichkeit – aber er sorgt eben doch dafür, dass wir weiter
gehen, als wir ohne Drogen gehen würden. Kaffee hilft uns dabei, unseren
eigenen Körper (und oft auch unsere eigene Seele) zu benutzen, und oft genug zu
missbrauchen, um mehr zu leisten; in welcher Form auch immer. Warum ist das
legal, während andere leistungssteigernde Drogen verboten sind? Die Frage ist
wie immer schnell und platt beantwortet: Geld. Natürlich.
Ich
verteufele Geld nicht, ganz und gar nicht. Aber es taucht doch immer wieder als
Antwort auf die Frage auf, warum etwas, das eigentlich nicht richtig ist, so
ist, wie es ist.
„Hallo Schönheit. Awash with anticipation. Ich freue mich sehr auf dich und bin
friedlich dankbar. Hab einen guten Flug. Wenn du in Kenya landest, atme einfach
nur und trag deine afrikanische Schutzblase. In dem Moment, in dem du auf
afrikanischer Erde landest, erinnere dich daran, dass du die Erdfrau in dir
wiedererwecken kannst und lass dir von niemandem Probleme machen. Bleib
friedlich.“
Der Sand
sinkt weiter zu Boden, er wird eine Weile brauchen, weil er so lange so heftig
durchgerührt worden ist. Ich sitze in Paris am Flughafen und habe nicht einmal
Lust, mir die französischen Souvenirs etc. anzusehen, Eiffeltürme in allen
Größen und I Love Paris Shirts und Kappen, französische Pralinen und
Süßigkeiten und etikettierte Accessoires. Ist doch im Prinzip auch nur wie
Berlin, außer dass man auf dem Flug keine Brezel, sondern ein
Bio-Schoko-Croissant kaufen kann. Bio! Auch die Shops am Flughafen bieten alles
an, was grade so in und gesund ist – Matcha, Smoothies, Säfte, you name it. Ich
fühle mich übersättigt. Komplett übersättigt. Als hätte ich alles, aber nicht
das, was ich wirklich brauche. Ich habe in den letzten Wochen zu viel gegessen,
zu viel konsumiert, und mich zu wenig bewegt; während ich mich zuvor zu viel
bewegt und zu wenig gegessen habe, oder mich selbst strengstens in meiner
Nahrungswahl eingeschränkt habe.
Ich sehne
mich nach einem Leben, wo Konsum zweitrangig ist; wo man alles haben kann, wenn
man möchte, aber nichts haben muss, um sich ganz und glücklich zu fühlen. Wo
das, was man ist, mehr Sinn macht als das, was man leistet. Wo man beide Füße
auf dem Boden verankern und die Flügel ausbreiten und fliegen kann, wie man
gerade möchte.
Die letzten
Monate in Berlin waren seltsam. Ich habe so viel geleistet, so vieles
gleichzeitig gemanagt und geschafft. Ich hatte 2,5 Vollzeitjobs, und alle
beinhalteten überdurchschnittlichen körperlichen Einsatz. Oft sah ich mich mit
einer Prüfung am nächsten Tag konfrontiert, auf die ich noch nichts gelernt
hatte, oder ein Kurs, dessen Choreo ich noch nicht vorbereitet hatte, und war doch
gerade dabei, in einem italienischen Restaurant zu kellnern. Die
Prüfungsvorbereitungsblätter im Menü versteckt, und bei Gelegenheit zweimal die
Zeilen überfliegend. Oder die Choreo mit Spaghetti a la matriciana auf dem Arm
nochmal durchgehend. Ich habe oft gedacht „Katharina, was hast du dir jetzt
wieder aufgebrockt? Wie willst du das alles schaffen?“ und habe es doch immer
geschafft. Morgens als erstes einen Kaffee, dann vor der Schicht im Restaurant
oder vor dem Fitnesskurs noch einen, weil ich sonst vermutlich tot umgefallen
wäre. Das nagende Gefühl, immer leerer zu werden. Als wäre ich zwar da,
zusammengehalten durch den physischen Körper, an dem ich dank der Hirngespinste
der Fitnessindustrie so viel feilte, aber innerlich wurde alles immer fragiler,
immer schwammiger. Ich, die lächelnde Trainerin auf der Bühne – ich liebe
Fitness, ich liebe Schwitzen und Workouts – aber innerlich lauerte eine
unterschwellige Panik, die ich in den kurzen Momenten, in denen ich nicht 100%
geben musste, zu erahnen begann. Eine schwammige, undefinierte Panik, innerlich
auseinanderzufallen. Ich hatte eine Ahnung, glaube ich; in Momenten, wo ich
mich gar nicht mehr richtig fand, wo ich nur wie ein Roboter, ein Zombie meine
Pflicht erfüllte, ohne Gefühl und ohne Sinn; wenn ich meinen müden, aber
funktionierenden Körper zwang, die letzte Hürde auch noch zu nehmen; es ist
vermutlich von Vorteil, dass ich einen starken Willen habe und
analytisch-vernünftig vieles aus dem Kopf steuern kann, wenn es sein muss – so
hielt ich mich selbst in einem positiven Space, der es mir erlaubte, immer
weiter zu schwimmen. Ich bin stolz und extrem dankbar, dass ich das geschafft
habe, auch wenn ich gerade nicht in der Position bin zu sehen, wohin mich das
eigentlich gebracht hat – was habe ich denn davon? Ich weiß es (noch) nicht.
Und das ist okay. Jetzt bin ich ja einfach nur hier, am Flughafen von Paris,
der Stadt der Liebe, heute bei 18°C und wolkenverhangen deutlich ungemütlicher
als Berlin, und meine Ohren haben seit Verlassen des Flugzeugs nicht mehr
„aufgemacht“; mit nach innen gedrückten Trommelfellen fühle ich mich wie in
meiner eigenen Schaumblase, Watte im Kopf, und Leere im Magen. Ich habe heute
noch nichts gegessen; will ich eigentlich auch nicht, es wäre ein schöner Cut,
eine Art Reinigungs- und Verdauungstag. System reset.
In Schiphol,
Amsterdam, habe ich mit fünf Stunden meinen längsten Aufenthalt. Ich hatte kurz
überlegt, den Flughafen zu verlassen und die Stadt anzuschauen, aber ich
fürchte, ich hätte die ganze Zeit zu viel Bammel davor, den Flug zu verpassen
und würde aufgrund dessen die Stadt verpassen. Also bleibe ich am Flughafen;
hier kann man auch schon recht viel über das erfahren, was das Land (angeblich)
ausmacht: Tulpen, Käse, Waffeln, Belgische Schokolade. Belgien? Ich dachte,
Amsterdam gehört zu den Niederlanden – ist Belgien nicht nebenan? Ah, whatever.
Diese ganzen kleinen europäischen Nachbarländer… wenn mich jemand fragen würde,
welche Länder an Deutschland angrenzen, würde ich pompös versagen. Frag mich
lieber was zu den Klimazonen in Südafrika. ;)
Apropos
Klima: Es ist so kalt hier, dass ich zum ersten Mal seit Mai (gefühlt) einen
Pullover unter der Jeansjacke trage! Bin ich froh, dass ich vorsichtshalber
eine Menge warme, kuschelige Klamotten in mein Handgepäck geschaufelt habe. Wie
es der Zufall will, ist der Pullover, den ich jetzt trage, khakifarben (wie
mein Rucksack) – obwohl ich ausnahmsweise mal im modernen City-Look verreisen
wollte, sehe ich also schon wieder total „bushy“ aus. There is no escaping it.
Ich hätte
gern ein warmes Getränk, weil ich friere, aber alles Warme hier scheint
entweder Kaffee oder Zucker zu enthalten… Ich „lese“ ein bisschen in den
dänischen Zeitschriften (natürlich nur, um mein Gefühl für Afrikaans
aufzufrischen), schaue mir an, was es überall so zu essen und zu trinken gibt,
und schreibe zufallsgenerierte, elendig lange Blogeinträge über nichts, einfach
weil es Spaß macht, zu schreiben. Wieso habe ich diesen Spaß am Schreiben
eigentlich in Berlin nicht? Ich könnte ein Buch schreiben… über nichts! ;)
Der letzte
Flug von Amsterdam nach Nairobi ist nicht der beste meines Lebens, auch wenn
„the pride of Africa“ – Kenya Airlines – sich nichts zu Schulde kommen lassen.
Essen, Decken, Kissen, alles ist plötzlich ein bisschen „minderwertiger“, und
eine sehr laute Familie von „coloured people“ (nicht schwarz, nicht weiß) sorgt
mit ihren vier Söhnen für eine sehr kurze Nacht. Auch die Visaabfertigung ist
alles andere als angenehm, lange Schlange in stickiger Hitze – hinter mir sind
Deutsche, die drängeln wie verrückt – aber letztlich schaffe ich es nach Kenya
hinein, mit ostafrikanischem Visum, finde Lizzy und ab geht es in ihrem
schwarzen Suzuki durch die (zugegebenermaßen nicht vorzeigereifen)
Industriegebiete Nairobis, durch dichten, chaotischen Verkehr, mit häufigem
Gebrauch der Hupe. Motorradfahrer und Fußgänger bewegen sich einfach dort, wo
sie Platz finden, es wird durch Grünanlagen und über Verkehrsinseln gefahren,
aber weil sich jeder so langsam bewegt, ist das Ganze zwar unpleasant, aber
überschaubar. Ich habe schon zweimal in Afrika erlebt, wie jemand auf der
Straße totgefahren wurde – das reicht :)
Ich bin so
glücklich, Paviane am Straßenrand zu sehen und die durchdringenden Schreie der
Hadedas wieder zu hören – allein das beweist, wie sehr ich Afrika vermisst
habe, denn sowohl Paviane als auch Hadedas zählen zu den absoluten „Nervgeistern“
Afrikas. Gleich nach fünf Minuten sehe ich auch schon die ersten sieben (!)
Giraffen, eine davon ein Baby – der Nationalpark zieht sich aus irgendeinem
Grund bis in die Stadt, was ein ziemlich ulkiger Anblick ist.
„Lizzys
Farm“ ist ein kleines Stück Paradies. Vogelfreunde hätten die Zeit ihres
Lebens, so viele Spezies zwitschern hier munter vor sich hin. Ich stelle
entsetzt fest, dass ich schon wieder so viel vergessen habe aus meinem
Guidingkurs – verschiedene Akaziensorten, kleinere Vögel, ID per Vogelstimme –
das wusste ich alles mal…! Gut, jetzt habe ich ja Zeit, um alles aufzufrischen.
Es gibt verschiedene faszinierende Affensorten hier – keine Paviane, sondern Sykes monkeys und Colobus monkey, eine bedrohte, sehr seltene Spezies – die ich noch nie zuvor gesehen habe
und die uns sehr neugierig von oben aus den Bäumen bespitzeln.
Colobus Monkey |
Ich bin wieder da, alles ist anders, und alles ist irgendwie beim Alten. Zeitlos und tiefgründig, wie nur Afrika es kann. Der Sand wird sich legen...
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