Donnerstag, 27. September 2018

Locals


Heute verabschieden wir Anya, sie fliegt zurück nach Äthiopien – schade, ich mag sie gern und das war ein wirklich kurzer Besuch… wir haben Matthew mit dabei, der jetzt unter Lizzy arbeitet, aber schon seit über 20 Jahren auf der Farm beschäftigt ist. Er hat noch erlebt, wie alles voller Elefanten, Giraffen und Büffel war – heute alle gewildert. Dafür war er noch nie am Internationalen Flughafen und freut sich wie verrückt. Das ist schön zu sehen und zu fühlen; ich liebe und vermisse dieses Gefühl, aus dem Busch zu kommen und alles ist plötzlich speziell und besonders für einen. 

Nachdem wir Anya verabschiedet haben, gehen wir noch einkaufen – bzw. Matthew geht einkaufen, deshalb haben wir ihn mit – und ich stehe in der heißen afrikanischen Sonne vor staubigen, kleinen Shops, während Matthew mit wunderbarer Sorgfalt und Aufrichtigkeit den allerbesten Hammer im besten Handwerkerladen des Dorfes auswählt. 

Am Abend besuchen wir zwei Freunde Lizzys in der benachbarten Massai Community: Jackie, die traditionellen Perlenschmuck herstellt, und ihren Ehemann. Sie haben fünf Kinder, drei adoptiert, weil sie besser für die Kinder sorgen können als deren Eltern. (Sie leben in einer 10qm Wellblechhütte im Nirgendwo, aber sie können es sich leisten, zwei der drei Kinder zur Schule und zur Universität zu schicken). Wir werden sehr gastfreundlich empfangen und versorgt, natürlich auch, weil die Massai sich Hilfe von mzungi, den Weißen, erhoffen. Es ist ein schwieriger Balanceakt – einerseits sind die Dinge, die sie dringend brauchen (eine Wasserpumpe, damit die Frauen das Wasser nicht mehrmals täglich 1 km durch die Savanne schleppen müssen; Schulbücher und allgemein Kosten der Schule; etc. etc.) für uns vergleichsweise extrem billig, sodass es kein Problem wäre, ihnen dieses Geld zu geben – aber damit ist langfristig eben niemandem geholfen. Alles muss nachhaltig geschehen, muss so aufgebaut werden, dass die Menschen selbst in der Lage sind, sich zu helfen und Geld zu verdienen oder ihre Probleme in Angriff zu nehmen. Jackie serviert uns Erbsen und Kraut mit Weizenfladen, und mein Magen will jetzt schon überhaupt nichts mehr von Weizen wissen, aber sie bestehen darauf, dass ich sie probiere. Ja, sie sind lecker, natürlich; nach dem Besuch habe ich heftige Koliken. Die hatte ich die letzten Tage schon immer dann, wenn ich Weizenfladen aß, ja, sie sind extrem lecker, aber ich muss mich wirklich zurückhalten, meinem Verdauungstrakt zuliebe.

Lizzy will, dass sich etwas tut in der Community – ohne eine gesunde und funktionierende Community ist ihre Arbeit wie Hausbau auf Treibsand, wird die Wiedereinführung von Wildtieren niemals nachhaltig sein. Menschen, die hungern und leiden und dringend Geld benötigen, sind (zum Beispiel) sehr leicht zum Wildern oder zur Unterstützung von Wilderern zu bewegen und sind wenig loyal, wenn es um den Schutz und Erhalt dessen geht, was sie hier aufbauen möchte. Sie hat ehrgeizige, hoch gesteckte Ziele, und sie braucht extrem viel inneres Licht, um dorthin zu marschieren. Ich wünsche ihr von Herzen, dass das, was sie vorhat, klappt oder zumindest nicht dafür sorgen wird, dass sie eines Tages desillusioniert und enttäuscht in die Menschheit die Flinte ins Korn wirft. Ich könnte die Arbeit, die sie hier macht, nicht leisten – ein bisschen kommt sie mir vor wie eine Mini-Ausgabe von Prinzessin Diana, die komplett liebevoll und offen in eine so fremde Kultur taucht, alle streichelt, allen gibt, was sie kann, und von Herzen versucht, die Menschen voranzubringen. 

Für mich ist das alles noch ein Kulturschock – ich hatte zwar Kontakt mit „Einheimischen“ in Botswana und Südafrika, aber immer auf einer westlich kultivierten, sicheren Basis. Die Schwarzen, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren in der Regel angestellt, versorgt, „westernized“ durch den Tourismus, für den sie arbeiteten, und ja, natürlich gab es auch dort Probleme, Kulturclashs, etc., aber es war mir nie so bewusst wie jetzt in dieser Massai-Community.
Die Schule in der Community



Lizzy nimmt mich am Folgetag mit zu einem Frauentreffen, das sie organisiert hat – es dürfen nur Frauen aus der Community kommen, und sie hat eine amerikanische Ärztin (Gynäkologin) eingeladen, die im Nachbardorf Kagashi seit 2014 missioniert, die mit den Frauen über alle möglichen Frauengesundheitsthemen spricht – auch die Mädchen der Schule sind da, und sie erhalten eine Extra-Lektion zum Thema Menstruation, dass es das gibt, dass es normal und gesund ist, wie sie sich vorbereiten können, was sie machen können, wenn sie Schmerzen haben (Medizin nehmen natürlich) und so weiter. Ihnen wird auch eingeschärft, dass sie niemandem erlauben sollen, etwas mit ihrem Körper zu machen, das ihnen nicht gefällt – und dass sie sich für ihren Ehemann aufsparen sollen, nach der Universität; es gibt nicht entweder Universität oder Familie, sondern man könne erst das eine haben, dann das andere, so sind die Frauen sozial abgesichert(er).
Die (älteren) Schulmädchen während der "Frauenthemen"-Aufklärung
 Generell machen sie Vorschläge zur Hygiene – dass man jemanden ansteckt, wenn man ihn anniest oder erst in die Hand niest und dann den anderen berührt; sie üben „richtiges Niesen“, sprechen über Husten, etc. Mit den erwachsenen Frauen wird über Verhütung diskutiert, über den Zyklus und Fruchtbarkeit, wie lange sie warten sollten mit dem nächsten Baby, wie sie verschiedene gängige Kinderkrankheiten Afrikas erkennen und was sie ohne großen Geldeinsatz für die Kinder tun können (zum Beispiel mit Salz gurgeln, den Kindern bei bestimmten Krankheitsbildern mehr Bohnen, Erdnüsse und Fleisch geben (Proteinmangel)), wie sie sich selbst helfen können bei Scheidenpilz, Hustenerkrankungen, etc… alles Dinge, die für mich ganz und gar selbstverständlich sind… 

Lizzy ruft schließlich mich „auf die Bühne“, um ein paar Übungen zu zeigen, die gut sind bei Rückenschmerzen, Menstruationsschmerzen und sogar Wehen – die kleinsten Bewegungen (Hüfte vor- und zurückkippen im Sitzen, Kuh-Katze aus dem Yoga, strecken, atmen) ernten heftiges Gelächter. Etwas, das für uns Westliche so selbstverständlich ist, macht einen so seltsamen Eindruck auf diese Frauen! Ich bezweifle, dass sie es ausprobieren werden, aber hey, why not. Am Ende der Versammlung steht die Stammesälteste wieder auf (sie sprach zu Beginn schon einmal; sie scheint diejenige zu sein, die für alle spricht, und sie ist prachtvoll dekoriert mit traditionellem Perlenschmuck und auffallendem orangefarbenem Gewand. Mit stets würdevoller, ernster Mimik strahlt sie absolute Autorität aus. Sie bedankt sich bei den Frauen für diese Lektionen, die sie überrascht hätten, aber die sinnvoll seien, weil viele der angesprochenen Probleme wirklich existierten – und dann wendet sie sich an die Frauen und erklärt ihnen, dass es wichtig sei, auf sich acht zu geben, und die Ratschläge zu befolgen, etc. 
Womens' Meeting (links die alte Massai-Mamma - mit den traditionell durchhängenden Ohrlappen)
Auf jeden Fall eine ziemlich krasse Erfahrung für mich, und ein Kulturschock ohnegleichen. Ich habe noch nicht das Gefühl, wirklich angekommen zu sein, habe das Gefühl, Zuschauer zu sein statt Protagonist, und das ist okay. Ich bleibe einfach friedlich, mit beiden Beinen auf afrikanischem Boden, und lasse den aufgewirbelten Sand weiter sinken….

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