Donnerstag, 27. September 2018

Uganda I - arrival

Ich sitze wieder am Flughafen, diesmal auf dem Weg nach Uganda. Ryanair hat soeben eine Stunde Verspätung angemeldet, und man kann niemals sicher sein, dass deren Definition von einer Stunde meiner entspricht.

Ich habe alle Brücken verbrannt. Es fühlt sich verrückt an, ich habe Schiss, und ich weiß gleichzeitig, dass es richtig ist. Im Lateinunterricht haben wir mal eine (wahre) Geschichte eines Krieges übersetzt, wo die feindliche Armee über den Wasserweg angriff und versuchte, das Land zu erobern. Der Armeeführer vor Ort beschloss, alle Schiffe der Feinde zu verbrennen, damit sie nicht fliehen könnten, wenn sie besiegt wurden. Vermutlich tat er ihnen damit einen Gefallen, denn sie kämpften so entschlossen, dass sie schließlich die ansässige Armee besiegten und das Land eroberten. Schiffe für die Flucht brauchten sie nicht mehr…

Ich weiß, was ich will. Und das tut gut. Das heißt nicht, dass alles, was ich in Berlin zurücklasse, schlecht ist. Vieles davon war wunderbar, vor allem viele Menschen, die ich dort kennenlernen durfte. Ich vertraue darauf, dass – wie immer – die wahren Freunde in Kontakt bleiben. You can not lose what is truly yours.

Ich will gar nicht so sehr darüber nachdenken, was ich alles vermissen werde. Jetzt bin ich hier. Habe ein Ziel. Habe Freiraum, bin sicher. Bin in Afrika, wo mein Herz sich gerade endlich wieder heiler und ganzer anfühlt. Habe die Chance und die Zeit und die Sicherheit, nachhaltig etwas für mich aufzubauen. Finanzielle Sicherheit zu schaffen, die ich dringend brauche. Und gleichzeitig dort zu sein, wo ich sein will. Einziges Manko: Ich muss auf die physische Anwesenheit vieler liebgewonnener Menschen verzichten.

Wie kann ich die letzten beiden Wochen zusammenfassen?

Eine Farm in Kenya hilft definitiv dabei, die Füße auf die Erde zurückzubekommen. Ich habe geholfen, einen Kater zu kastrieren (konnte aber beim blutigen Teil nicht hinsehen), acht kleine (männliche) Babyziegen, wir haben eine zu früh geborene Ziege mit der Flasche gefüttert, weil ihre Mama sie nicht unterstützt, und Lizzy hat eine todkranke Ziege ertränkt und verbrannt. (!) („Ich hätte ihm auch die Kehle durchschneiden können, aber mir war nicht nach Blut.“) Ich bewundere sie noch immer für diese Roughness, komme mir vor wie eine europäische Prinzessin auf der Erbse neben ihr. Ich weiß nicht, ob ich das könnte, ein Tier töten. Sie tut es dauernd, aber immer nur, wenn es notwendig ist; und sie ist Vegetarierin. Ich liebe und bewundere sie sehr, meine kleine starke Schwester. :)

Ich bin allmählich wieder angekommen; ich trage lange Hosen und meine Jeansjacke bei 25°C; meine Schultern und mein Nacken schälen sich, meine Beine sind voller Kratzer und Wunden; ich gewöhne mich langsam wieder daran, die einzige Weiße unter Schwarzen zu sein; mein Körper, mein Essverhalten, alles fühlt sich balancierter und schöner an; und ich fühle mich rauer, stärker, als könnte ich plötzlich mit viel weniger auskommen, als wären so viele Dinge, die vor drei Wochen noch wichtig waren, plötzlich vollkommen insignifikant. Ich bin wieder mehr Leopard und weniger Golden Retriever. 


Erwähnenswerte Momente der letzten Woche?

Massai-Dorf – Lizzy hat mich einmal mitgenommen, um eine ihrer Kinderarbeiterinnen (Stella) in der Schule anzumelden. (Auf der Farm gibt es Kinder, die Ziegen hüten müssen, um ihre Geschwister zu ernähren, statt zur Schule zu gehen. Dadurch wird ihnen natürlich die Zukunft verbaut bzw. die Möglichkeit, jemals einen gut bezahlten Job zu bekommen, aber sie kommen aus diesem Teufelskreis nicht raus; Schule ist zu teuer, aber Lizzy hat es sich zur Mission gemacht, alle Arbeiter unter 18 zur Schule zu senden). Weil ich gerade von meinem Morgensport kam und kurze Hosen anhatte, wollte ich nicht mit hineingehen und wartete im Auto. Während Lizzy mit Stella also ins Büro der Schulleiterin marschiert, sitze ich auf dem Beifahrersitz … als plötzlich zwei ganze Schulklassen von schwarzen Kids angelaufen kommen und sich neugierig direkt vor meiner Autotür versammeln! Sie stehen einfach da und starren mich alle an – ich komme mir stark vor wie ein Zootier – was für eine seltsame Situation :D Als ich beschließe, nicht nur zu lächeln, sondern „Hi“ zu sagen und zu winken, kreischen manche, lachen, und dann rennen sie in alle Richtungen davon. Man kennt diese Szene aus Filmen, von Fotos und Dokumentationen, aber es selbst zu erleben, ist – verrückt :D

Nur weil ich weiß bin, bin ich eine Kuriosität. Nur weil ich weiß bin, habe ich eine Putzfrau und eine Köchin. Nur weil ich weiß bin, könnte ich jedem Schwarzen beinahe problemlos sagen, was er oder sie tun soll. Nur weil ich weiß bin, geht automatisch jeder davon aus, dass ich reich bin und gebildet. Dass ich Geld ausgeben kann. Dass ich weiß, wie man mit Krankheiten umgeht – Menschen zeigen mir ihre geschwollenen Füße, eiternden Exzesse und geheimnisvollen Hautwüchse und erwarten, dass ich weiß, was zu tun ist. Ich habe bisher nicht viele Weiße in Kenya gesehen, nur am Flughafen, an Touristenspots und in typischen „white restaurants“, wo wir ein-, zweimal waren. Es ist ein extremer Sprung von einer Welt in eine andere. 

Die Affen machen mir auch Spaß. Es sind nur die kleinen Sykes Monkeys, die ums Haus herum leben; sie sind viel weniger aggressiv als Paviane (eigentlich überhaupt nicht aggressiv, sondern ängstlich, aber frech). Wenn man ein Fenster offen lässt (selbst kleine Öffnungen, von denen man nicht unbedingt erwartet, dass ein Affe durchpasst), sind sie im Haus. Und dann gibt es Chaos. Sie haben meine Zahnbürste angenagt und mit nach draußen genommen, meine Seife gefressen und die Aloe-Vera-Pads von meinem Rasierer (wie auch immer!). Als ich eines Tages im Garten meine Wäsche aufhänge (müsste ich eigentlich nicht, ich habe ja eine „Putzfrau“, aber ich will nicht dass sie das macht…), sehe ich, wie zwei Äffchen in mein Fenster einsteigen! Diese Kobolde!!! Ich husche ihnen nach, steige durchs Fenster in mein Zimmer und schließe es – sie sind bereits im Badezimmer, wo es (zur Zeit) kein Entkommen gibt….




***

Übrigens, willkommen in Afrika – eine dicke Lebensmittelvergiftung schließt in meiner zweiten Woche ihre Klauen um mich und beschert mir zwei anstrengende Nächte und einen anstrengenden Tag. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt. Da ich am kommenden Tag nach Uganda fliege, beschließe ich, mein Verdauungssystem einfach komplett leer zu halten, bis ich angekommen bin. Ich hatte in Botswana schon mal einen langen Transfer mit einer Lebensmittelvergiftung, das war ziemlich beschissen – es macht keinen Spaß, in der langen, stickigen Schlange vor dem Einwanderungsschalter gefangen zu sein und schwindelig, schwitzend, zitternd eigentlich nur auf der Toilette sein zu wollen… meine neue Strategie scheint besser zu sein. Ich fühle mich nach zwei Tagen Fasten zwar etwas schwindelig, aber es ist nur der wohlvertraute Schwindel von Unterzuckerung; mein Magen grummelt, aber das ist das süße, geduldige Gefühl von Hunger, nicht die Androhung eines Vulkanausbruchs. Ich habe keine Energie, aber ich kann friedlich am Terminal sitzen, ohne verzweifelt nach Toilettenschildern suchen zu müssen. 

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….Stunden bzw. Tage später: Ich bin in Uganda! Ich bin froh, dass ich heil und voll neuer Energie hier angekommen bin; fast, als wäre die Lebensmittelvergiftung notwendig gewesen, um irgendetwas aus meinem System zu schwemmen, was da nicht hingehört; irgendetwas in mir hat sich verändert, und natürlich ist es auch der Ort, der so magisch, emotional und tiefgründig ist – all das zusammen hat mich irgendwie umgestülpt, zurückgestülpt, und ich habe fast das Gefühl sagen zu können: Ich bin wieder da. Ich weiß, dass ich noch mehr da sein kann, aber so viel Sand (in meinem aufgewirbelten Inneren) hat sich schon lange nicht mehr gelegt. Ich fühle mich innerlich frisch und klar, als wüsste ich plötzlich wieder mehr, wer ich bin; als hätte ich plötzlich wieder mehr Grund, mir zu vertrauen; und als ich einmal versehentlich in den bunt bemalten afrikanischen Spiegel im Badezimmer schaue, fällt mir die Kinnlade runter – ich kenne diese Frau, habe sie nur lange nicht mehr gesehen. Sie trägt beigefarbene kurze Shorts, ein cremefarbenes Buschhemd, ihr Haar ist wild und lockig und golden, ihre Beine zerkratzt und voller Schrammen und Narben, ihre Füße sind rot vom Barfußlaufen auf Afrikas rotem Sand, ihr Gesicht ist sonnengebräunt und ein bisschen älter und faltiger als zuvor (und das sage ich ganz wertfrei), und ihre Augen strahlen in ihrem merkwürdigen grün-blau-grau-unergründlichen Farbton, lebendig und klar und tief. Nichts an ihr macht den Eindruck, als müsste es irgendwie sein, als hätte sie versucht, es irgendetwas anzupassen; nichts an ihr ist leer, oder aufgesetzt, oder fühlt sich an als müsste ich es beurteilen oder bewerten; alles ist einfach da, alles ist wie es ist, und ich kann mein Spiegelbild genauso liebevoll betrachten wie eine Antilope im Gestrüpp, die genauso ist wie sie ist, und jedes Härchen, jede Schramme, jeder Muskel, jedes Fettdepot ist wunderschön und genau so, wie es sein soll.
Crested Crane, der Nationalvogel Ugandas
Mein Flug nach Uganda ist okay, und trotz des klitzekleinen Flugzeugs, das viel schneller in Luftlöchern absinkt und den Magen hin und wieder auf einen Wellenritt schickt, verkraftet mein komplett leergeschwemmter nüchterner Körper alles prima. Chris holt mich am Flughafen ab, es gibt extra offene Zelte, wo die Wartenden Schatten suchen und sitzen können. Wir warten noch auf einen weiteren Besucher, den Chris mitnehmen soll, und so habe ich Gelegenheit, das Arrivals-Treiben zu beobachten und in Ruhe anzukommen. Der zweite Besucher trifft letztendlich viel zu spät, ohne Gepäck, bei uns ein – South African Airways is going down… 

Chris wollte eigentlich nicht so spät losfahren, weil es gefährlich ist, im Dunkeln unterwegs zu sein, aber jetzt haben wir keine andere Wahl. Die Fahrt ist toll und gibt einen wunderbaren ersten Eindruck vom Land, alles ist so unfassbar bunt, und chaotisch, und detailliert; der Straßenverkehr ein einziges Chaos, man weiß manchmal nicht, wo die Märkte anfangen und die Straße aufhört, weil Autos, Menschen, Hühner, Markthändler, Mofafahrer, Ziegen, Kinder in einem schwer definierbaren bunten Knäuel durcheinanderwuseln. Auf den Mofas sowie auf den offenen Ladeflächen von oft sehr provisorisch zusammengeflickten motorisierten Fahrzeugen (ich weiß nicht, ob man sie „Autos“ nennen sollte) wird einfach alles transportiert – Menschen, Bananen, Ananas, Wurzeln, Hühner, Ziegen, Frauen, Kinder, Container, Werkzeug, Möbel,….


 Es ist so spannend einfach nur Details aufzunehmen, wie auf einem wirklich extrem kreativen Wimmelbild (falls das jemand noch kennt….). Kleine Momentaufnahmen sind herrlich – die Frau mit dem Baby auf den Rücken gebunden, die ein Feuer direkt neben der Straße macht (keine Ausnahme), auf dem sie undefinierbare Wurzeln grillt und direkt an Autofahrer verkauft, eine Ziege daneben, angebunden, die belästigt wird von einem freilaufenden Ziegenbock; zwei Mofafahrer, die ineinander gefahren sind und deren Maschinen sich verkeilt haben, rütteln an ihren Maschinen und versuchen sie auseinanderzuzerren – sie erinnern mich an Kuduböcke, deren spiralförmige Hörner sich im Hornkampf verkeilt haben; 

Fahrräder mit riesigen Portionen grüner Bananenstauden auf dem Gepäckträger, die sorgfältig gestapelt wurden, damit man sie ausbalancieren kann; ein klitzekleiner Transporter mit offener Ladefläche, auf der Kartons, Ananas, Kinder und ein Sarg hin und her schwanken; Kühe mit riesigen Hörnern, die entspannt zwischen den Fahrzeugen umhertrotten…. Es ist großartig! „You have to laugh, otherwise you‘ll cry” (quoting Chris) trifft es ganz gut. Das ist übrigens grundsätzlich für Afrika keine verkehrte Grundeinstellung.

Asante sana, smash banana, wewe nugu mimi hapana – herzlichen Dank, zermatsche Banane, du bist ein Affe und ich nicht. (Raffiki aus dem König der Löwen singt Suahili/Englisch – ich jetzt auch, fließend sogar. :P)


Hello Vervet Monkey! Hier in Uganda sind sie wieder mal überall...
Nicht bei Nacht zu fahren ist eine gute Empfehlung, wie wir feststellen, als Chris die letzte halbe Stunde im Dunkeln kämpft. Es gibt keine weißen Linien, keine Leitplanke, keine Reflektoren, nur Fahrzeuge, die dir mit Fernlicht entgegenbrettern, das dich besonders gut blendet, weil es durch ganz feinen Bodennebel verstärkt wird; die Straßen sind sehr schmal, und auf beiden Straßenseiten siehst du immer wieder vollkommen unbeleuchtete (schwarze) Fußgänger oder Radfahrer in allerletzter Sekunde – es ist so einfach, so erschreckend einfach, hier jemanden versehentlich zu töten. Wir kommen aber sicher an.

Nach zweieinhalb Tagen Fasten esse ich abends in Uganda in der Lodge zum ersten Mal wieder eine richtige Mahlzeit (nach einem Apfel zum Fastenbrechen) – gekochtes Gemüse und Reis. Es ist himmlisch und genau das, was mein Körper braucht. Es fühlt sich perfekt an, ich hatte Hunger wie ein Tier, und ich weiß es so sehr zu schätzen, wieder zu essen… zum Nachtisch serviert die Küche ein Milktarte (typisch südafrikanisch, wie ich lerne), das so unglaublich lecker ist, dass ich es meinem Magen einfach mal zutraue. Ich werde es nicht bereuen, aber mich immer daran erinnern, wie sehr ich dieses kleine Stückchen „treat“ genossen habe.

In meiner ersten Nacht in Uganda habe ich eine leichte Mückenphobie, obwohl eigentlich nichts passieren sollte – Karlene, meine bewährte und liebste Krankenschwester (die meinen verbrannten Fuß in Namibia bis fast zur Narbenfreiheit versorgt hat), hat mich mit Malariatabletten gefüttert und ich schlafe vor einem Ventilator. An dessen lautes Surren und den Wind muss ich mich erst noch gewöhnen; ich wache ein paarmal nachts davon auf. Aber er hält tatsächlich Moskitos fern; das weiß ich in einem Malariahochgebiet durchaus zu schätzen.

Außer dem Surren des Ventilators höre ich nur den geliebten Chor von Grillen, Fröschen und dem gelegentlichen altvertrauten Ruf einer Nightjar (googled the German name: Nachtschwalbe, haha). Es ist wie warmer Honig, der durch meine Seele fließt. Und meine Seele saugt all das Gold durstig auf und fängt allmählich an, immer heller zu strahlen.

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