Heute widmen wir uns mal der Geschichte und Kultur Neuseelands.
Auf die
Frage hin, was wir gerne noch in der Gegend sehen würden, melde ich die Kawiti
Glowworm Caves an. Glühwürmchen in Höhlen, sounds good to me!? Marzena weiß
zunächst gar nicht, wovon ich rede; „Wie, wir haben Glühwürmchen in Neuseeland?
Und die sind auch noch weltbekannt?“ Ich zeige ihr die Homepage. Ja,
Glühwürmchen, gar nicht mal so weit weg von hier. Sie studiert aufmerksam die
Website und rümpft irgendwann die Nase. „Da gehen wir nicht hin“, meint sie
schließlich, „das ist eine Maori-Familie.“ Ich so: „Was? Hä?“ Und so erhalte
ich ausführliche Information darüber, dass die Maoris und die weißen Europäer
hier einen „silent war“ führen und dass wir als gebildete Weiße deshalb
unmöglich in eine Höhle gehen können, die von Kannibalen geführt wird. Ich
überlege zunächst, ob sie mich veralbern will… aber sie meint es tatsächlich
ernst.
Und weil
ich von diesem silent war offenbar so wenig verstehe, erstellt uns Marzena ein
kulturell wertvolles Programm. Wir fahren nach Waitangi, einem historisch
super-wertvollen Platz, den man unbedingt besucht haben muss, wenn man in
Neuseeland war. Wir benutzen den
polnischen Eingang, der uns 25 NZD pro Person erspart… weil ich feststelle,
dass alle, die den rechtmäßigen Eingang benutzt haben, einen orangeleuchtenden
Kleber auf der Jacke tragen, kratze ich zwei verlorene orangene Kleber für
Laszlo und mich vom Asphalt ab und klebe sie auf unsere Shirts. Sieht doch
gleich viel besser aus ;) Und das Sicherheitspersonal lächelt uns nett zu.
Die Aussicht in Waitangi ist schon mal gut... |
Zurück
zum Sinn der Veranstaltung. Waitangi ist einer der berühmtesten historischen
Plätze Neuseelands, DENN: Hier wurde am 6. Januar 1940 der berühmte Vertrag von
Waitangi unterzeichnet, englisch: Treaty of Waitangi. 1933 kam James Busby als
der erste Gesandte des Vereinigten Königreiches nach Neuseeland, weil die
Briten glaubten, Neuseeland gehöre zu ihrem Einflussgebiet und sie müssten die
Konflikte der Maoris untereinander und die zwischen Maoris und Einwanderern
beschwichtigen. (Selbstverständlich waren sämtliche Landansprüche und
Konkurrenzkämpfe mit anderen europäischen Mächten, z.B. Frankreich, vollkommen
unwichtig und es ging einzig allein um den Frieden unter den Maoris).
Ach, im
Grunde ist es (leider) immer dieselbe Geschichte. Die scheint sich auf der Welt
immer und immer wieder zu doppeln. Eine mächtige, zeitlose Geschichte, die als
eine menschliche Idee dauerhaft zu existieren scheint und hin und wieder
irgendwo auf der Welt gepackt und in eine individuelle Geschichte umgesetzt
wird. Wie ein Template, auf das jeder zugreifen und es individualisieren kann.
Und das haben die Briten und Maoris getan.
Zu
dieser großen Zeremonie kamen also zahlreiche Maori-Häuptlinge verschiedener
Stämme zusammen, um vor dem wundervollen Anwesen von Busby eine Zeremonie
abzuhalten und anschließend den friedensspendenden Vertrag zu unterschreiben. Die Boote,
sogenannte Waka Tauas, mit denen die Ureinwohner ankamen, sind in Waitangi
ausgestellt und zugegebenermaßen recht beeindruckend. Mit viel Sorgfalt wurde
zunächst ein geeigneter Kauri-Baum ausgewählt, der in einer großen Zeremonie und
unter vielen Segenssprüchen gefällt wurde. Die wetterfeste Windseite wurde dann
als „Unterseite“ des Bootes benutzt und die weiche, wetterabgewandte Seite mit
steinernen Werkzeugen ausgehöhlt. Die Bäume waren in der Regel rund zwei Meter
dick und 25 Meter lang, und in dem Waka Taua, das hier ausgestellt ist, haben
80 Paddler Platz plus 55 Passagiere.
So sah das Boot aus, als es noch schwimmen durfte... |
...heute sitzt es auf dem Trockenen und dient als Kulisse für Touristenfotos |
Dann
schauen wir uns noch das Haupthaus an, in dem Busbys Familie und einige andere
lebten und Kekse aßen und gelegentlich, in ihrer großen Güte, unzivilisierte
Maoris einluden, um ihnen beizubringen, wie man Messer und Gabel benutzt.
"Guck, so hält man Besteck, du wilder unzivilisierter Kannibale!" |
"Civilized aristocracy facing wild madness" |
Sehr groß aufgezogen und voller Nationalstolz wird
z.B. die große Güte des Mister Busby proklamiert, indem ein Auszug eines
Briefes veröffentlicht wird, in dem er einen Maori-Häuptling beschreibt: „A
man, one would imagine, in his forty-fifth year; he was six feet two inches
high, and was perfectly handsome both as to features and figure; though very
much tattooed, the benignity and even beauty (!) of his countenance were not
destroyed by his frightful operation.“
Wieder
mal dieselbe alte Geschichte. Kolonialzeit. Afrika. Amerika. Whereever you want
to look. Das sind zwar keine Menschen, sondern nur Affen – aber immerhin hübsche
Affen, gelegentlich…
Und dann das Freundschaftsangebot des Königs von England
an die Maori-Häuptlinge, starting like this: „The king is sorry fort he injuries
which you inform Him that the people of New Zealand have suffered from some of
His subjects…..“ Hahaha.
Wilde, grausame Kannibalen: Gewehre, nackte Brüste und zum Korbschleppen geboren! |
Anschließend
schauen wir uns noch eine cultural performance an; echte Maoris tanzen einen
echten Haka. Mit unseren orangenen Klebern dürfen wir alles :) Marzena kommentiert
die Performance mit „Look at these cannibales“ und ich muss mich wirklich
beherrschen, um nicht wieder loszulachen…
Mein Interesse
an der Maori-Kultur war ja schon ein eher wichtiger Grund für die Entscheidung
für Neuseeland; da es eine relativ junge Kultur ist (800 Jahre) und erst vor
nicht allzu langer Zeit (ca. 150 Jahre) ihre Zerstörung begann, hatte ich doch
die naive Hoffnung, irgendwo in Neuseeland einen Funken aufzufangen von dem,
was da mal war. Einen Funken von Ur-Kultur, von unverfälschten, ursprünglichen Menschen.
Aber ich muss eingestehen, dass es diesen Funken nicht mehr gibt. Ich habe
jetzt so viele Maoris getroffen, mit ihnen gesprochen, sie beobachtet, mit
ihnen gelebt; ich habe beobachtet, wie sie ihre Kultur aufrecht erhalten
wollen, wie sie versuchen, an etwas festzuhalten, was nicht mehr lebt; sie
schicken ihre Kinder in Maori-Schulen, schauen Maori-Fernsehen, hören Maori-Radio,
spielen alte Maori-Lieder auf selbstgeschnitzten Maori-Flöten, lesen in
Maori-Geschichtsbüchern, benutzen „heilige“ Maori-Begriffe, erzählen jedem, der
es wissen will, voller Stolz alles über „heilige“ Maori-Plätze, von denen es
hier nur so wimmelt… aber der Funke, nach dem ich gesucht habe, ist erloschen.
Die Maori-Kultur wird nur noch künstlich beatmet, aber das Herz hat aufgehört
zu schlagen. Da ist nichts Echtes mehr, nichts, das mein Herz wirklich berühren
konnte. Vielleicht findet man irgendwo in Neuseeland, versteckt, ohne Kontakt
zur Außenwelt, noch reine, unverfälschte Maoris; aber sollte es sie geben, so
werden sie sicherlich alles dafür tun, NICHT gefunden zu werden.
Panorama von Waitangi - überall rund um die Nordinsel diese wunderschönen "Inselfetzen"... |
Das ist
ein ziemlich ernüchterndes Fazit, ich weiß, und ich habe es auch schon in
Botswana ziehen müssen. Mit der afrikanischen Kultur passiert nämlich genau
dasselbe. Dieselbe alte Geschichte, nur leicht variiert über einen anderen
Kontinent gestülpt. Das Ergebnis sind entwurzelte Menschen, die glauben, ihre
Wurzeln aufrecht zu erhalten und noch immer volle Verbindung zu ihren
Ursprüngen zu besitzen. Die tendenziell eher nicht einsehen, warum man arbeiten
sollte („das war die Idee der Weißen, nicht unsere!“) und auch nicht, warum man
Weißen gegenüber ehrlich sein müsste. Der Ursprung des „Krieges“ ist mit der
ursprünglichen Kultur längst verloren gegangen, und der „silent war“, den Marzena
und viele andere weiße Neuseeländer so enthusiastisch führen, ist ein completely
artificial war, auf beiden Seiten. Ich verliere langsam den Glauben daran, dass
man irgendwohin reisen kann/muss, um echte, ehrliche, freie Menschen zu finden…
obwohl es ja mit Laszlo funktioniert hat – ich musste nach Neuseeland reisen,
um einen Ungarn zu treffen, der die letzten Jahrzehnte in Südafrika verbracht
hat ;)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen