Sonntag, 30. Dezember 2012

Bye bye rainy New Zealand...



Ich muss jetzt mal eine gern verdrängte Wahrheit hier niederschreiben: Ich habe mir wenig Gedanken darüber gemacht, wie Neuseeland es schafft, immerzu grün zu sein. Genau wie Irland, oder Schottland. Gleichzeitig verstehe ich unter „Sommer“ Sonnenwetter, und zwar für mehrere Tage. Und Neuseeland hat gerade Sommer. Aber Neuseeland ist auch immerzu grün, und Neuseeland besitzt einen sehr großen Teil Regenwald (wie ich bereits gelernt und erforscht habe), und Regenwald heißt vor allem Regenwald, weil es ein Wald ist, der immerzu Regen braucht – ja, genau, Regen!  Regen, Regen, Regen… ich mag mich nicht beschweren, aber der Regen ist verdammt allgegenwärtig hier… ein halber Tag pralle Sonne, und dann Regen, und zwar RICHTIGER Regen… Sturzbäche, sodass aus dem Loch überm Esstisch wieder das Wasser zu rieseln beginnt. Neuseeland ist ein Regenland, und die Nordinsel soll angeblich die wettertechnisch bessere sein. Pföh. Ich weiß nicht. Natürlich ist die Natur einmalig schön, all die Palmen und Farne und Blumen und blühenden Bäume, aber sie hat auch ihren Preis. Und der heißt Regen. Matsch. Und nach dem Regen sehr, sehr hohe Luftfeuchtigkeit bei sommerlichen Temperaturen. Schon fast tropisch manchmal, und sehr schweißtreibend! Aber keine Sorge, zu sehr schwitzen muss man nie, denn man wird mit Sicherheit wieder vom Regen überrascht und ist dann pitschenass…


Arbeitstechnisch haben wir über die Feiertage nicht viel gemacht; davor war Haus-Großputz angesagt, wir sind mit Leitern die Giebel hinaufgeklettert und haben allen Spinnen und Flecken an der weißen Decke den Garaus gemacht. Und jetzt nach Weihnachten kümmern wir uns um das große Re-Planting-Projekt; Marzena hat(te) einen kleinen Garten vor ihrem Hoftor, aber da sind schon die Kühe und Ziegen, und weil der Garten nicht richtig beschützt ist, haben die Viecher alles kahlgefressen. Jetzt möchte sie neue Pflanzen und einen Zaun. Neue Pflanzen klauen wir von überall; wir laufen einfach mit Schaufeln bewaffnet los und suchen was Nettes, buddeln es aus und buddeln es in ihrem Vorgarten wieder ein :) 

Unser neuer kleiner Garten mit provisorischem Kuh- und Pferdeschutz
Macht Spaß, ist aber auch echt anstrengend, weil natürlich genau jetzt nach Weihnachten der große Sommereinbruch startet. Zumindest zeitweise, oder immer dann, wenn wir arbeiten. Und sobald die Sonne draußen ist, spürt man das Ozonloch schon sehr deutlich, vor allem wenn man in hartem, steinigem Boden Löcher buddelt, und das auch noch mit sehr altertümlichen Spaten. Das ist ein allgemeines Problem bei helpx, das ich jetzt mal ansprechen muss: Werkzeuge. Die meisten helpx-hosts haben keine Ahnung von der Arbeit, die sie ihren helpxern „aufbrummen“, sondern tun nur so, haben aber niemals 4 Stunden in der Sonne gestanden und gebuddelt, gegraben, gehackt oder was auch immer. Und deswegen besitzen sie keine oder kaum geeignete Werkzeuge, mit denen man diese Aufgaben ordentlich erledigen kann. Immer wieder bin ich auf das Problem gestoßen, dass einfach nur „Schrott“ verfügbar war, mit dem man zwar irgendwie hinbekommt, was man hinbekommen möchte, aber auch sehr leicht frustriert werden kann, wenn man das Ergebnis und die Geschwindigkeit mit dem vergleicht, das man erreichen könnte, wenn man vernünftiges Werkzeug hätte. Zum Beispiel einen Nussknacker als Schraubenzieher verwenden, oder eine Säge zum Abkratzen von festgetrockneter Farbe auf Fensterscheiben, oder ganz einfach brüchiges, uraltes Zeug, das a) schwer, sperrig und unter Umständen voller Holzsplitter oder scharfer Kanten ist und das b) ständig auseinanderfällt, wenn man es wirklich beansprucht. Ich habe hier absolut die besten Voraussetzungen, um mir eine neue Arbeitsmoral anzueignen. Weit weg vom deutschen Effektivgedanken, besser, schneller, höher, weiter. Das Ziel ist es, die Arbeit zu genießen, bzw. wenn die Arbeit gänzlich ungenießbar ist, zumindest die Umgebung, meine Existenz, irgendetwas Schönes zu genießen, denn das findet sich immer. Zwischendurch mal ne Pause machen, atmen, sich besinnen, was man grade tut. Runterkommen von dem Perfektionismus-Gedanken und rauskommen aus dem „Funktionieren“. Das geht wirklich besonders gut, wenn man Nonsens-Aufgaben mit Nonsens-Werkzeugen bewältigen muss :)
Aloe Wera
"Jacaranda"-Blume (oder so)

Unsere Gartenaufgabe macht aber eigentlich Spaß. Ich grabe eine tolle Aloe Wera aus, deren glibbriger Saft aus den abgebrochenen Blättern ziemlich toll gegen die Millionen von Moskitostichen hilft, die ich mittlerweile mein eigen nennen kann. Außerdem dürfen einige der hier so typischen, großen, blauen Blumen umziehen; ich weiß nicht wie sie heißen, vielleicht Jacaranda-Blumen ;) Und ein paar Gräser und Babybäumchen dürfen auch in den neuen Garten. Wer weiß, wie lange sie überleben; denn bislang konnte Marzena kein Werkzeug für uns auftreiben, mit dem man so tiefe Löcher buddeln kann, dass man Pfosten darin versenken kann, um einen Schutzzaun zu bauen. Das war eigentlich Laszlos Job, aber er weigert sich zu Recht, mit dem alten Spaten gegen den Felsboden anzukämpfen. Auf Kawau Island hatten wir einen ähnlichen Job, aber mit nem Presslufthammer – kein Problem! Aber mit nem Spaten – no way.



Mittags machen wir meistens irgendwas Schönes; fahren nach Paihia oder Kerikeri zum Shopping und an den Citybeach, wo Petronella auf dem Spielplatz spielen kann (und ich manchmal auch, hehe), und einmal fahren wir fast eine Stunde lang zu dem schönsten East-Coast-Beach, den ich bisher gesehen habe: Cooper’s Beach heißt er, umrandet von herrlichen noch immer rotblühenden Weihnachtsbäumen, mit einem Salzflüsschen, aber weißem Sand und ganz ruhigem, friedlichem Ozean, in dem man ziemlich gut schwimmen kann, ohne Gefahr zu laufen, von irgendwelchen Strömungen erfasst oder von hohen Wellen ertränkt zu werden :)

Cooper's Beach



Vegetation rund um Cooper's Beach... mit Spielpfütze für Winzlinge :)



Nein, ich koche keine kleinen Kinder...
Was mir auch ziemlich Spaß macht hier, ist die Weiterentwicklung bzw. eigentlich Entwicklung von "domestic skills" - darauf habe ich in Germany nicht sooo viel Wert gelegt, aber hier macht's mir Spaß! Vielleicht ist die Anwesenheit des kleinen quirligen sechsjährigen Mädchens schuld, dass ich plötzlich so "häuslich" werde... Ich hab schon Cupcakes gemacht und Pflaumenkuchen gebacken, von in Kerikeri selbst geernteten Pflaumen, und Pfannkuchen, und ich kann jetzt Pfannkuchen in der Luft wenden und bin mächtig stolz auf diese neu erlernte Fähigkeit, hahaha :)


Es benötigt noch ziemlich viel Konzentration, aber... landet in der Pfanne! :)

Außerdem kann ich, wenn ich will, zu Sonya auf den Hügel laufen (remember: Das Maori-Mädchen, das hinter dem Haus in einem Pferdehänger wohnt) und mit ihr reiten gehen. Sie hat drei Pferde, eins davon stocklahm… wie die meisten Maoris steht sie auf  „Natural Horsemanship“ bzw. eine Unterart davon, die eigens für Neuseeland zurechtgebogen wurde. Ich denke, im Grunde geht es primär darum, sich auf dem Pferd zu halten und halbwegs zu bestimmen, wohin es laufen soll (und mit viel Glück noch zu bestimmen, wie schnell). Hilfsmittel: insbesondere Zügelzerren, Kicken, und wenn das auch nicht hilft, Verpreschen. Da es aber „Natural“ Horsemanship ist, wird meistens ohne Trensengebiss geritten, nur mit Hackamore oder Halfter. Sonya erklärt mir, wie sie das aufbauen – erst Halfter, dann Hackamore, dann Trense, wenn es das Pferd jemals so weit schafft. Ihre zwölfjährige Stute ist gerade beim Halfter angekommen, und galoppieren kann sie leider immer noch nicht. Da ich erzählt habe, dass ich reite, fragt sie mich, ob ich nicht ihrer Stute galoppieren beibringen kann. Als ich mich auf den Rücken der unbemuskelten Stute schwinge, stelle ich allerdings in Frage, ob ich wirklich reiten kann… ich bitte Sonya, mir zu zeigen, wie sie mit ihren Pferden kommuniziert. Sie ist sehr stolz auf ihre Art, mit Pferden umzugehen, und hatte ganz berühmte Trainer… auf youtube. Congratulations. Nein, ich kann dieser Stute nichts beibringen, denn sie weiß überhaupt nicht, was der Mensch auf ihrem Rücken will, geschweige denn hat sie die nötigen Muskeln, um mich zu tragen (selbst im Trab). Ich könnte also mit Sonya reiten, aber ihr Stil entspricht nicht so richtig meiner Philosophie vom Reiten. Manchmal amüsiere ich mich gut, wenn ich zuschaue, wie sie eine 13jährige (andere) Stute „einreitet“ – vollkommen roh, das Tier, und Sonya schwingt sich halt auf den Rücken und lässt sich runterbuckeln. Einen gewissen Unterhaltungswert hat das schon, aber insgesamt nicht so meins. Sonya erklärt mir, dass ihr Vater ein berühmter Pferdetrainer ist und ein Gestüt hat und sie ihm immer beim Einreiten („Breaking in“) hilft, und sie erfolgreich Pferde verkaufen und all das. In Neuseeland ist es wirklich ziemlich einfach, mit Pferden zu arbeiten. Die Maoris brauchen Pferde als Statussymbole, genau wie ihre Kumaras. Daher ist die Nachfrage entsprechend hoch und das Niveau erschreckend niedrig. Auch bei größeren Reittouren-Veranstaltern.


Was kann ich sonst noch erzählen?
Unsere Zeit bei Marzena und Petronella ist praktisch abgelaufen; ich schreibe eben noch diesen Blogeintrag, um euch auf dem Laufenden zu halten, dann werde ich meine Rucksäcke flugzeuggerecht packen, denn morgen Abend fliegen wir nach Australien. Just to let you know.


Morgen & übermorgen wird lustig: Wir werden morgen nach Auckland hitchhiken, wo wir gegen drei Uhr am Flughafen sein sollten (straffer Zeitplan, aber das wird schon!). Dann fliegen wir früh-abends nach Melbourne, feiern dort im Duty Free Shop Silvester (günstiger Sekt!) und morgen früh geht’s um acht weiter zum Adelaide Airport. Von dort fahren wir mit dem Airport Shuttle Bus zur Central Bus Station, verbringen ein paar Stündchen in Adelaide City, fahren dann mit dem Bus weiter nach Cape Jervis, wo angeblich nichts sein soll außer der Schiffsanlegestelle; dort haben wir bereits eine Fähre gebucht, die nach Kangaroo Island tuckert, wo wir gegen sieben in Penneshaw ankommen und von unserem nächsten (ersten australischen) Host abgeholt werden, der in Kingscote an einem wunderschönen Strand eine Luxushotelanlage führt und uns eingeladen hat, dort zu helfen. Japs. So ist der Plan ;)

Außerdem ist in Australien das Wetter besser. Hoffentlich. *g*

A: Kawakawa, da sind wir grade; B: Auckland Airport; C: Melbourne, hier werden wir im Checkin-Bereich Silvester feiern; D: Adelaide Airport, da landen wir übermorgen; E: Kangaroo Island, Endstation für Di, 02.01.2013
Daher wünsche ich jetzt schon mal allen ein wundervolles Neujahrsfest – ich muss lachen, wenn ich daran denke, wie wir feiern werden… sehr individuell! :D Aber das war die günstigste Flugzeit… und Duty Free Sekt ist nicht zu verachten.


Guten Rutsch euch allen!

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Neuseelands "silent war"



Heute widmen wir uns mal der Geschichte und Kultur Neuseelands.

Auf die Frage hin, was wir gerne noch in der Gegend sehen würden, melde ich die Kawiti Glowworm Caves an. Glühwürmchen in Höhlen, sounds good to me!? Marzena weiß zunächst gar nicht, wovon ich rede; „Wie, wir haben Glühwürmchen in Neuseeland? Und die sind auch noch weltbekannt?“ Ich zeige ihr die Homepage. Ja, Glühwürmchen, gar nicht mal so weit weg von hier. Sie studiert aufmerksam die Website und rümpft irgendwann die Nase. „Da gehen wir nicht hin“, meint sie schließlich, „das ist eine Maori-Familie.“ Ich so: „Was? Hä?“ Und so erhalte ich ausführliche Information darüber, dass die Maoris und die weißen Europäer hier einen „silent war“ führen und dass wir als gebildete Weiße deshalb unmöglich in eine Höhle gehen können, die von Kannibalen geführt wird. Ich überlege zunächst, ob sie mich veralbern will… aber sie meint es tatsächlich ernst.


Und weil ich von diesem silent war offenbar so wenig verstehe, erstellt uns Marzena ein kulturell wertvolles Programm. Wir fahren nach Waitangi, einem historisch super-wertvollen Platz, den man unbedingt besucht haben muss, wenn man in Neuseeland war.  Wir benutzen den polnischen Eingang, der uns 25 NZD pro Person erspart… weil ich feststelle, dass alle, die den rechtmäßigen Eingang benutzt haben, einen orangeleuchtenden Kleber auf der Jacke tragen, kratze ich zwei verlorene orangene Kleber für Laszlo und mich vom Asphalt ab und klebe sie auf unsere Shirts. Sieht doch gleich viel besser aus ;) Und das Sicherheitspersonal lächelt uns nett zu.
Die Aussicht in Waitangi ist schon mal gut...
Zurück zum Sinn der Veranstaltung. Waitangi ist einer der berühmtesten historischen Plätze Neuseelands, DENN: Hier wurde am 6. Januar 1940 der berühmte Vertrag von Waitangi unterzeichnet, englisch: Treaty of Waitangi. 1933 kam James Busby als der erste Gesandte des Vereinigten Königreiches nach Neuseeland, weil die Briten glaubten, Neuseeland gehöre zu ihrem Einflussgebiet und sie müssten die Konflikte der Maoris untereinander und die zwischen Maoris und Einwanderern beschwichtigen. (Selbstverständlich waren sämtliche Landansprüche und Konkurrenzkämpfe mit anderen europäischen Mächten, z.B. Frankreich, vollkommen unwichtig und es ging einzig allein um den Frieden unter den Maoris).


Ach, im Grunde ist es (leider) immer dieselbe Geschichte. Die scheint sich auf der Welt immer und immer wieder zu doppeln. Eine mächtige, zeitlose Geschichte, die als eine menschliche Idee dauerhaft zu existieren scheint und hin und wieder irgendwo auf der Welt gepackt und in eine individuelle Geschichte umgesetzt wird. Wie ein Template, auf das jeder zugreifen und es individualisieren kann. Und das haben die Briten und Maoris getan.

"What the British brought to New Zealand" (unter anderem Wildschweine, Hunde und Katzen, die das bislang gänzlich ohne Landsäugetiere funktionierende Ökosystem vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht haben)
Im Vertrag von Waitangi wurde festgestellt, dass die zunehmende Einwanderung aus Europa und Australien es erforderlich macht, dass „geordnete Verwaltungsstrukturen“ geschaffen werden. Dabei müssen (natürlich) die Rechte und das Eigentum der Eingeborenen („Aborigines“) geschützt werden und Sicherheit und Ordnung aufrecht erhalten werden. Diese Bedingung wurde, wie es dieser Geschichte eigen ist, nur sehr sporadisch erfüllt. Im Gegenzug dazu erkennen die Eingeborenen die Souveränität der britischen Krone über alle Inseln Neuseelands an. Diese Bedingung wurde hingegen, ebenfalls im Template der Geschichte verankert, mit allen Mitteln durchgesetzt. Die weiße, wohlerzogene, kultivierte Aristokratie gegen kannibalische, primitive, über und über tätowierte Ureinwohner. Affen. Die sehr dankbar sind, dass endlich jemand kommt und ihnen beibringt, wie man sich kultiviert benimmt, und die aus lauter Dankbarkeit einen Vertrag unterzeichnen, dass sie ab jetzt der englischen Krone unterstehen und ihr Land ab jetzt „verkäuflich“ ist. (Die Wahl ist relativ simpel. Ich würde auch eher einen Vertrag unterzeichnen als mein Volk abschlachten zu lassen.)


Zu dieser großen Zeremonie kamen also zahlreiche Maori-Häuptlinge verschiedener Stämme zusammen, um vor dem wundervollen Anwesen von Busby eine Zeremonie abzuhalten und anschließend den friedensspendenden Vertrag zu unterschreiben. Die Boote, sogenannte Waka Tauas, mit denen die Ureinwohner ankamen, sind in Waitangi ausgestellt und zugegebenermaßen recht beeindruckend. Mit viel Sorgfalt wurde zunächst ein geeigneter Kauri-Baum ausgewählt, der in einer großen Zeremonie und unter vielen Segenssprüchen gefällt wurde. Die wetterfeste Windseite wurde dann als „Unterseite“ des Bootes benutzt und die weiche, wetterabgewandte Seite mit steinernen Werkzeugen ausgehöhlt. Die Bäume waren in der Regel rund zwei Meter dick und 25 Meter lang, und in dem Waka Taua, das hier ausgestellt ist, haben 80 Paddler Platz plus 55 Passagiere.

So sah das Boot aus, als es noch schwimmen durfte...
...heute sitzt es auf dem Trockenen und dient als Kulisse für Touristenfotos
Dann schauen wir uns noch das Haupthaus an, in dem Busbys Familie und einige andere lebten und Kekse aßen und gelegentlich, in ihrer großen Güte, unzivilisierte Maoris einluden, um ihnen beizubringen, wie man Messer und Gabel benutzt. 
"Guck, so hält man Besteck, du wilder unzivilisierter Kannibale!"
Der durchschnittliche Deutsche nickt jetzt mit dem Kopf und sagt „Jaja, die armen Maoris, vollkommen kulturell zerstört, und diese bösen Weißen; uralte Geschichte, kann‘s langsam nicht mehr hören…“ Aber interessanterweise passiert hier in Waitangi genau das Gegenteil, und ich staune und muss sehr oft unfreiwillig lachen, während ich durch den Park marschiere. Die meisten Leute sind natürlich Touristen, aber es gibt auch einige weiße Neuseeländer – zum Beispiel Marzena – die sich das hier ansehen und die das ziemlich ernst nehmen. Nach wie vor sind erstaunlich viele der europäisch-stämmigen Kiwis der Meinung, dass sie hier das Sagen haben und die Maoris nie wirklich von ihrem „Affentum“ abgekommen sind. Sie stehen mit ernsten, hochmütigen Mienen vor den alten Bildern und betrachten sich ihre eigene Geschichte und sind stolz, englisch zu sein und den Kampf gegen die Kannibalen gewonnen zu haben. 

"Civilized aristocracy facing wild madness"
Das ganze Museum ist aber auch in diesem Ton aufgezogen – sogar zeitgemäße Illustrationen und die Texte zwingen die Besucher sozusagen in diese Richtung, was mich ebenfalls total überrascht. Wir Deutschen sind offenbar sehr vorgeprägt und daher besonders in diesem Metier sehr vorsichtig; da wäre so etwas nicht möglich. Aber wie in diesem Museum die Briten gebauchpinselt und beinahe heilig gesprochen werden, ist so unglaublich, dass ich die meiste Zeit nur lachen muss. Und Lazslo macht mit, was das Ganze unheimlich amüsant macht. Wir ziehen durch das Museum, machen die hochmütig-ernsten Mienen der Museumsbesucher nach und sagen hochwertige Dinge wie „Just imagine, Martha once dined at this wooden table!“ (Das steht da wirklich so geschrieben… was für ein unglaublich wichtiges historisches Ereignis! Außerdem steht da, welche britischen Nachbarn der zweitältesten Tochter von Mister Kapitän William Hobson eine kleine Spielzeugpuppe geschenkt haben und wann… und anderer Nonsens, dessen Ernsthaftigkeit man eigentlich wirklich kaum für möglich halten kann. Und wenn man die Bilder dazu sieht, diese hochmütigen Mienen von steifen Herren, so vollgepumpt mit ihrem eigenen Ego, dass kein Platz mehr für irgendetwas anderes bleibt…)


Sehr groß aufgezogen und voller Nationalstolz wird z.B. die große Güte des Mister Busby proklamiert, indem ein Auszug eines Briefes veröffentlicht wird, in dem er einen Maori-Häuptling beschreibt: „A man, one would imagine, in his forty-fifth year; he was six feet two inches high, and was perfectly handsome both as to features and figure; though very much tattooed, the benignity and even beauty (!) of his countenance were not destroyed by his frightful operation.“


Wieder mal dieselbe alte Geschichte. Kolonialzeit. Afrika. Amerika. Whereever you want to look. Das sind zwar keine Menschen, sondern nur Affen – aber immerhin hübsche Affen, gelegentlich…


Und dann das Freundschaftsangebot des Königs von England an die Maori-Häuptlinge, starting like this: „The king is sorry fort he injuries which you inform Him that the people of New Zealand have suffered from some of His subjects…..“ Hahaha.
Wilde, grausame Kannibalen: Gewehre, nackte Brüste und zum Korbschleppen geboren!
Anschließend schauen wir uns noch eine cultural performance an; echte Maoris tanzen einen echten Haka. Mit unseren orangenen Klebern dürfen wir alles :) Marzena kommentiert die Performance mit „Look at these cannibales“ und ich muss mich wirklich beherrschen, um nicht wieder loszulachen… 



Mein Interesse an der Maori-Kultur war ja schon ein eher wichtiger Grund für die Entscheidung für Neuseeland; da es eine relativ junge Kultur ist (800 Jahre) und erst vor nicht allzu langer Zeit (ca. 150 Jahre) ihre Zerstörung begann, hatte ich doch die naive Hoffnung, irgendwo in Neuseeland einen Funken aufzufangen von dem, was da mal war. Einen Funken von Ur-Kultur, von unverfälschten, ursprünglichen Menschen. Aber ich muss eingestehen, dass es diesen Funken nicht mehr gibt. Ich habe jetzt so viele Maoris getroffen, mit ihnen gesprochen, sie beobachtet, mit ihnen gelebt; ich habe beobachtet, wie sie ihre Kultur aufrecht erhalten wollen, wie sie versuchen, an etwas festzuhalten, was nicht mehr lebt; sie schicken ihre Kinder in Maori-Schulen, schauen Maori-Fernsehen, hören Maori-Radio, spielen alte Maori-Lieder auf selbstgeschnitzten Maori-Flöten, lesen in Maori-Geschichtsbüchern, benutzen „heilige“ Maori-Begriffe, erzählen jedem, der es wissen will, voller Stolz alles über „heilige“ Maori-Plätze, von denen es hier nur so wimmelt… aber der Funke, nach dem ich gesucht habe, ist erloschen. Die Maori-Kultur wird nur noch künstlich beatmet, aber das Herz hat aufgehört zu schlagen. Da ist nichts Echtes mehr, nichts, das mein Herz wirklich berühren konnte. Vielleicht findet man irgendwo in Neuseeland, versteckt, ohne Kontakt zur Außenwelt, noch reine, unverfälschte Maoris; aber sollte es sie geben, so werden sie sicherlich alles dafür tun, NICHT gefunden zu werden.

Panorama von Waitangi - überall rund um die Nordinsel diese wunderschönen "Inselfetzen"...
 Das ist ein ziemlich ernüchterndes Fazit, ich weiß, und ich habe es auch schon in Botswana ziehen müssen. Mit der afrikanischen Kultur passiert nämlich genau dasselbe. Dieselbe alte Geschichte, nur leicht variiert über einen anderen Kontinent gestülpt. Das Ergebnis sind entwurzelte Menschen, die glauben, ihre Wurzeln aufrecht zu erhalten und noch immer volle Verbindung zu ihren Ursprüngen zu besitzen. Die tendenziell eher nicht einsehen, warum man arbeiten sollte („das war die Idee der Weißen, nicht unsere!“) und auch nicht, warum man Weißen gegenüber ehrlich sein müsste. Der Ursprung des „Krieges“ ist mit der ursprünglichen Kultur längst verloren gegangen, und der „silent war“, den Marzena und viele andere weiße Neuseeländer so enthusiastisch führen, ist ein completely artificial war, auf beiden Seiten. Ich verliere langsam den Glauben daran, dass man irgendwohin reisen kann/muss, um echte, ehrliche, freie Menschen zu finden… obwohl es ja mit Laszlo funktioniert hat – ich musste nach Neuseeland reisen, um einen Ungarn zu treffen, der die letzten Jahrzehnte in Südafrika verbracht hat ;)




Mittwoch, 26. Dezember 2012

We wish you...


Christmas time!

So  viel in meinem Leben hat sich verändert… so viel in mir hat sich verändert… der Mensch, der vor fast drei Monaten in Frankfurt ins Flugzeug gestiegen ist, ist irgendwo auf der Reise hierher verloren gegangen… nicht, dass ich nicht zurückblicken und ihn betrachten und verstehen kann, aber das bin nicht mehr ich… und ich bin sehr froh darüber. Und dankbar. I’ve grown up, in a way. And, for sure, I’m still growing up, but I can’t grow back.

Life is such a wonderful teacher. Ich bin hier nach Neuseeland geflogen, um Weihnachten am Strand unter Palmen zu feiern, im Bikini, umgeben von wunderbaren, glücklichen, feiernden Menschen, die mir zeigen, wie lebenswert das Leben ist, und die mir ulkige und spannende Kiwi-Weihnachts-Traditionen zeigen. Ich habe erwartet, dass ich auf diese Art und Weise ein glückliches Weihnachtsfest erleben werde. Exciting! Something to tell my friends, something to write on my very adventurous blog!

Stattdessen verbringe ich Weihnachten in einem durchschnittlichen, in not-really-matching-colors bemalten Farmhaus auf einem Hügel und es regnet den ganzen Tag so heftig, dass ich befürchte, wir müssen eine Arche bauen und den stinkenden West-Highland-Terrier, die beiden flauschigen Katzen und die Pferde und Kühe und die Ziege in Sicherheit bringen. Marzena sagt, es ist das erste Mal seit 11 Jahren, dass es in diesem Teil of New Zealand an Weihnachten regnet – die letzten Jahre haben sie immer am Strand gefeiert. (Ich glaube ja ernsthaft, dass am 21.12. etwas passiert ist; nicht der Weltuntergang, offensichtlich, aber eine feine Verschiebung der Planetenkonstellation, irgendetwas „Kleines“, Unsichtbares, das nicht zu verleugnende Auswirkungen auf die Erde und aufs Klima hat. Aber Schwamm drüber, jeder kann glauben, was er will. Ich persönlich halte es nicht für Zufall, dass es in Kerikeri regnet wie bekloppt, obwohl es heiß sein sollte, während es in Baden-Württemberg 15 Grad und Sonnenschein gibt, obwohl es winterlich sein sollte. Soviel dazu.)
Zurück zum Thema. Ich verbringe Weihnachten in einem durchschnittlichen, in not-really-matching-colors bemalten Farmhaus auf einem Hügel und es regnet. Zufällig ist direkt über dem Tisch eine undichte Stelle im Dach, sodass es kontinuierlich von der Decke tropft und zwar genau auf die drei Weihnachtskerzen, die Laszlo und ich heute im Supermarkt gekauft haben (um zumindest ein bisschen Weihnachtsstimmung zu kreieren). Petronella schiebt den Kerzenständer beiseite und stellt so routiniert eine Aluschüssel unter die tropfende Stelle, dass es überflüssig ist, zu fragen, ob das zum ersten Mal passiert. Und Marzena, die Hausherrin, ist hauptsächlich mit Weinen beschäftigt – klar, heute ist es soweit: Der erste Todestag ihres Ehemanns, der so wunderbar war und für die All Blacks gespielt hat und den sie so sehr vermisst, dass sie ziemlich viel Wein trinkt. Ich könnte also schreiben, dass ich ein ziemlich trauriges Weihnachtsfest erlebt habe. Das wäre aber ziemlich gelogen.

Wie ich schon sagte, life is a wonderful teacher (if you trust it, which I do). Umgeben von Umständen, die all dem widersprechen, was ich mir vorgestellt und gewünscht hatte, umgeben von all dieser Tragik, bin ich einfach nur unheimlich glücklich. Weil ich nicht das Gefühl habe, von Tragik umgeben zu sein. Meine Wahrnehmung hat sich verändert. Mein Platz im Leben hat sich verändert. Ich bin nicht umgeben von Tragik; ich bin umgeben von Schönheit, und Glück, und Liebe, und während ich das schreibe, spüre ich, wie wahr es ist. Unter dem tropfenden Dach essen wir ein wundervolles, wirklich, wirklich wundervolles Weihnachtsdinner, das Laszlo und ich servieren, weil Marzena nicht imstande ist, heute viel zu tun (sie hat aber gekocht und alles steht bereit, wir müssen nur das Fleisch schneiden). Und das bereitet mir viel mehr Freude als mich an den gedeckten Tisch zu setzen, weil Marzena und auch Petronella sich so sehr über den „Service“ freuen und sich ehrlich und herzlich bedanken. Das Essen ist köstlich!!! Als Vorspeise bekommen wir eine polnische Suppe serviert. Man denke an Maultaschen, nur etwas kleiner; polnische „dumplings“ nennt Marzena sie, und sie schwimmen in einer herrlich gewürzten, leicht glühwein-artigen Rote-Beete-Brühe. Man merkt, dass die Polen nicht so weit weg vom Schwabenland sind ;) Als Hauptgang servieren wir eine Lammkeule, die gemeinsam mit Kumaras (Kumaras!!! I looooove them!) in Rosmarin-Knoblauch-Zitronen-Grapefruit-Sauce schwimmt. Ich habe seit 3Wochen kein Fleisch mehr gegessen (nach Aio Wera hat mir irgendwie nichts Fleischiges mehr geschmeckt, obwohl ich alles immer wieder probiert habe und Marzena sogar deutsche Wienerle serviert hat). Aber als ich das Lamm probiere, bin ich wirklich begeistert! So zart, so raffiniert gewürzt, yummie! Hab lang kein so feines Fleisch mehr gegessen; und dazu Kumara, und die herrliche Sauce, und Zitronenstückchen, und Marzenas selbstgemachtes Chutney (eine wie Marmelade im Glas eingemachte ursprünglich indische Sauce, die die englischen Siedler nach Neuseeland gebracht haben. Darin tümmeln sich Zutaten wie Salz, Zucker, Chilli, Pfeffer, Ingwer, Kreuzkümmel, Kurkuma, Zitrone, Essig, Knoblauch, Zwiebeln, Kokos, Koriander, Tomaten und viel Pfirsich aus Marzenas Garten) Ein herrliches Christmas Menu! 

 Ich bin außerdem vollkommen fasziniert von Petronella. Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal so intensiven Kontakt mit einem sechsjährigen Mädchen hatte (wahrscheinlich, als ich selbst 6 Jahre alt war); aber sie zu beobachten, mit ihr zu spielen, zu basteln, zu essen, sie zu erleben, ist so unglaublich bereichernd! Obwohl Mami ziemlich traurig ist und es ja immerhin auch ihr Daddy ist, ist sie so frei und fröhlich und voller Liebe und Glück, und es ist einfach spürbar, dass das kein aufgesetztes „Ich bin stark obwohl Mami schwach ist“-Glück ist, sondern ungebrochene, kindliche Unschuld. Sie trägt ihr wunderschönes rotblondes Haar offen, höchstens mal mit einem geflochtenen Zöpfchen, und trägt fast immer flauschige, flatternde, flamboyante Kleidchen oder Röcke in Pink, Olivgrün, mit Rüschchen und Schleifchen. Ein einziges Mal hatte sie das Bedürfnis, mit mir über ihren Daddy zu reden; sie vermisst ihn schon, und sie ist traurig, dass sie ihn nicht mehr sehen kann; dennoch scheint es so einfach für ein Kind, zu akzeptieren, dass es ihm gut geht und er im Himmel ist und sie liebt und glücklich ist, sie zu sehen und zu beschützen. Ihr Glück, ihre positive Energie ist einfach so viel stärker als das „Bedürfnis“, unglücklich zu sein und zu trauern. Und das ist ehrlich, das ist echt, und deshalb ist es wunderbar. Ich mag dieses kleine Mädchen, und es ist herrlich, wenn sie völlig unschuldig und frei ihre Ärmchen um meinen Bauch schlingt (größer ist sie halt nicht) und „I love you!“ sagt. Deshalb habe ich auch am Weihnachtstag das große Bedürfnis, mit ihr was zu backen :D Vormittags „schwimmen“ Laszlo und ich also zum Supermarkt (ich erwähnte das bereits; da haben wir auch die Kerzen gekauft) und kaufen nochmal so richtig ein, bevor die Läden schließen. Wir arbeiten auch Marzenas Einkaufsliste ab, denn sie ist völlig un-imstande, heute das Haus zu verlassen. Ich erwarte eigentlich, dass eine Million Neuseeländer dieselbe Idee haben, so wie das in Deutschland ist, wenn man am 24.12. einkaufen geht (sozusagen die einfachste Variante, sich umzubringen; man wird einfach von gestressten Menschen plattgewalzt). Aber hier im neuseeländischen Supermarkt geht alles ganz friedlich zu, es sind zwar ein paar mehr Menschen am Start, aber man spürt den Unterschied zwischen den Einwohnerzahlen doch sehr deutlich…

Christmas Cupcakes :)
Ich kaufe also Zutaten für Schokoladen-Cupcakes, weil Petronella zu ihrem Geburtstag eine Cupcake-Maschine geschenkt bekommen und die noch nicht eingeweiht hat und sich das so sehr wünscht.  Und nach unserem wunderbaren Weihnachtsabendessen machen Petronella und ich Cupcakes, und ich genieße es so sehr, mit ihr zu backen :) Weil sie es auch genießt, mit mir zu backen, und mich so sehr ihre kindliche, ungebrochene Liebe spüren lässt. Ich will auch so sein! Ich will so lieben und leben und genießen können! Hach :) 

Und ich habe auch ein Geschenk für sie gebastelt; also ich als 6jährige hätte mich darüber tierisch gefreut! Ich habe eine Perle aus Ton geformt (in Aio Wera schon) und bemale sie jetzt in Pink und Rosa, und auf die eine Seite kommt eine gelbe Fee mit feenstaubsprühendem Zauberstab, und auf die andere Seite ein P.
Rosa ist wieder in!
Da es in Neuseeland (oder, wie Petronella sagt, „nisisa“) allerdings erst am 25. Geschenke gibt, feiern Laszlo und ich am 24. für uns allein Bescherung (mit einem Strauß wunderschön blühender Sommerblumen als „Weihnachtsbaum“, und mit Wunderkerzen, danke hierfür nach Sindelfingen ^^). 

Am 25. essen wir ein Weihnachts-Porrage (Petronella, Laszlo und ich. Wir kochen jeden Morgen für Petronella, weil Marzena aufgrund ihrer Depression immer erst gegen 11 oder 12 aufsteht). Mit Datteln, die ich gestern gekauft habe, und aufgeweichten Früchtekeksen, und Banane, und Kokosraspeln (ebenfalls gestern gekauft) und Ahornsirup, der hier in nisisa sehr beliebt ist. Petronella ist happy :) 

Gegen ein Uhr kommt dann Petronellas Freund mit seiner Mama, und sie fallen über die Cupcakes her und freuen sich und anschließend packen Marzena und Petronella ihre Sachen und hauen einfach ab – Marzena erklärt mir tränenüberströmt, wie ich die Katzen und den Hund füttern kann und dass wir alles essen dürfen, was wir finden, und sie wird heute Nacht oder morgen früh zurückkehren, und der Autoschlüssel steckt – und plötzlich sind sie weg! Hahaha :D Ist das cool oder was? Jetzt haben wir ein Haus und ein Auto in nisisa, und viel zu essen, und absolute, ungestörte, abgeschiedene Privatsphäre. Kann man sich was Schöneres vorstellen, am Fest der Liebe? Yeah! Merry Christmas everyone! 

Und wer nach diesen Ausführungen nicht versteht, warum ich ein absolut glückliches Weihnachtsfest verbringe, obwohl all meine Erwartungen unerfüllt geblieben sind… ach… :D …dem wünsche ich ein glückliches, liebevolles Weihnachtsfest. 

Und euch allen anderen sowieso :)

Samstag, 22. Dezember 2012

Did you know I'm a flower fairy?



Heute ist schon unser letzter Tag in Aio Wera, puh. War eine superschöne Zeit, highly enjoyable, ich werde es vermissen. Wir entscheiden uns, den See zu besuchen, der angeblich wundervoll ist und in der Nähe von Bethells Beach in den Dünen liegt. Als wir mit Di’s Auto am Parkplatz dort ankommen, stehen allerdings mehrere Polizeiautos rum… ich leicht nervös, weil keiner von uns eine drivers‘ license dabei hat, aber Laszlo ist echt ein Genie puncto Pokerface und fährt einfach ganz lässig auf den Parkplatz (ich wäre ja weitergefahren…) Ein NZ-Cop mit stechend blauen Augen fragt uns freundlich, ob wir zum See wollen. Ja, wollen wir? Geht leider nicht, meint er, da ist jemand ertrunken und sie haben die Leiche noch nicht gefunden. Ach so? Oh. Das ist blöd. Tja. Dann fahren wir eben zum Strand. Danke, danke vielmals, äh, also tut uns leid, das mit dem Ertrinken, und Tschüssi! :D Haha. Ich frage Laszlo, woher die wissen wollen, dass da jemand ertrunken ist, wenn sie die Leiche noch gar nicht gefunden haben… er meint ganz trocken und mit stoischem Blick: „Because somebody went out with somebody and didn’t come back!?“ Den Rest der Fahrt zum Meer muss ich mich daraufhin leider vor Lachen kringeln… very creative female mind vs logical male mind ;)



Im Meer habe ich wieder riesigen Spaß… es ist jetzt schon stundenweise richtig heiß, und richtig heiß heißt wirklich heiß, man bekommt sofort einen Sonnenbrand, wenn man sich nicht schützt (ICH bekomme sofort einen Sonnenbrand… ich weiß nicht wie das anderen geht). Ich gehe dreimal schwimmen, zweimal während der Flut, das ist noch relativ lustig, auch wenn die Wellen schon recht hoch sind; und später nach einem netten Schläfchen am Strand noch einmal, als die Ebbe schon fast ganz „vollendet“ ist. Ich bin total fasziniert und begeistert von der immensen Kraft des Ozeans, lasse mich ständig von Wellen unter Wasser bomben, durch die Gegend zerren und ziehen, und beobachte fröhlich, wie das Ufer immer weiter weg scheint und die Wellen immer riesiger und meinen Körper immer kräftiger durch die Gegend ziehen, der mir plötzlich sehr winzig und nichtig vorkommt… irgendwann stelle ich fest, dass Laszlo, der eigentlich nicht schwimmen wollte, als kleiner winziger Fleck in Badeklamotten am Strand steht, woraus ich schließe, dass ich a) sehr weit abgedriftet bin, b) sehr weit draußen bin und c) wieder mal imstande bin, mich in irgendeine Gefahr zu bringen, die ich derzeit noch nicht erkenne. (Diesen Punkt halte ich zu dem Zeitpunkt für unwahrscheinlich, ich fühle mich total sicher und fröhlich als Spielball der Wellen) Also beschließe ich, hauptsächlich um Laszlo zu beruhigen, wieder an Land zu schwimmen – hahaha… in dem Moment, in dem ich die Richtung wechsle, erkenne ich erst den extrem starken Sog, von dem ich mich die ganze Zeit Richtung Ozean habe ziehen lassen. Ich bin schwerst beeindruckt, wie kräftig der Sog ist, aber Angst habe ich keine Sekunde. Ganz entspannt und immer noch im Rhythmus des Wassers arbeite ich eine Taktik aus, wie ich mich Richtung Ufer bewegen kann, und beginne die Wellen auszunutzen, um wieder Richtung Land zu kommen. Das dauert eine Ewigkeit, denn wenn keine Welle kommt, werde ich sofort wieder nach draußen gesogen… aber irgendwann habe ich Boden unter den Füßen (den ich hin und wieder verliere, wenn es mich „von den Füßen saugt“), und irgendwann wird das Wasser niedriger, und irgendwann erkenne ich Laszlos Gesicht… alles ganz easy ;) Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd, als ich mich in mein weiches, warmes Handtuch einwickle… das war schöööön! :)



that's how professional hitchhiking looks like
Am nächsten Morgen startet wieder die schon beinahe routinierte Aufbruchsstimmung: Wecker um fünf Uhr, packen, frühstücken. Ich bin jetzt richtig gut im Porrage-Kreieren, muss sagen, das schlägt die schlichte Zubereitung von Haferflocken in kalter Milch schon um einiges… ich genieße also mein vorerst letztes selbstgemachtes Porrage mit Datteln, Rosinen, Zimt, Honig, echter Vanille, gemischten sehr weihnachtlichen Gewürzen, etwas braunem Zucker und schöööön warmer Milch und dazu frischer Naturjoghurt, Banane und Apfel. Ich werde es vermissen.

Lal fährt uns nach Kumeu, von wo aus wir auf dem Highway 16 anfangen zu hitchhiken. Wir wurden vorgewarnt, dass es nicht so einfach ist, nach Norden zu kommen, als umgekehrt. Aber es scheint zu funktionieren, wenn auch mühsam und stückchenweise, manchmal nur ein Kaff weiter ;) Wir brauchen 5 verschiedene Fahrer bis nach Kawakawa, aber insgesamt läuft alles ziemlich gut; und das mit nur einem „North“-Schild, keine Details, nichts Genaues. North reicht wohl. In Deutschland undenkbar, man würde uns für bekloppt halten. Es nieselt auch die ganze Zeit ein bisschen, vorbei das schöne Sommerwetter, und ich bin sehr dankbar, dass es nicht schifft wie blöd; insbesondere dann nicht, wenn wir grade mal wieder mit unserem Gepäckhaufen am Straßenrand im Nirgendwo stehen, wo ungefähr alle 10 Minuten 2 Autos vorbeifahren. Wir brauchen fünf Autos (manche davon fahren uns nur ins nächste Kaff, besser als nix!), bis wir in Kawakawa ankommen. Aber wir kommen an, trocken und unversehrt, haben Glück, trotz wirklich wenig Verkehr, und wir brauchen grade mal vier Stunden für rund 220 km.

Ich warte mit dem Gepäck vor der Hundertwasser-Toilette (Dejavu!) während Laszlo in einen Shop latscht und Marzeni anruft. Marzeni ist unsere nächste Host(in) und wird uns hier abholen. Sie hatte vorher noch nie helpxers, wir wissen also nicht wirklich, was auf uns zukommt und sie weiß es vermutlich auch nicht… Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung kommt sie endlich an; ich teile mir die Rückbank des ziemlich kleinen Autos mit einem ziemlich stinkenden West-Highland-Terrier und der kleinen Petronella, die gerade von der Schule abgeholt wurde. Laszlo hingegen teilt sich den Beifahrersitz mit meinem kiloschweren Backpack, hahaha :D 
Aussicht vom Haus aus


Erst mal Bekanntschaft mit der ganzen Besatzung machen...
...und sich bei Mr Giant-Ziegenbock einschleimen ;)
Petronellas Pony "Toffee" und ich sind gleich beste Freunde *g*
Marzena und Petronella wohnen in einem großen Farmhaus auf einem Hügel mitten in idyllischstem Auenland umgeben von Kühen und Pferden und Miniponys und Ziegen, und sie haben zwei Katzen und eben diesen stinkenden West-Highland-Terrier namens Hella. Das Haus ist riesig, war ursprünglich gedacht für die ganze Familie, aber Marzenas älteste Tochter (20) ist bereits ausgezogen und hat seit 2 Wochen ein Baby und Marzenas Ehemann ist am 24.12.2011 an Krebs verstorben. Ich denke, sie wird keine große Lust haben, Weihnachten zu feiern… wir werden sehen. Marzena kommt aus Polen, hat dann aber einen Kiwi geheiratet und seither die neuseeländische Staatsbürgerschaft. Töchterchen Petronella (what a name!) ist also halb Kiwi, halb Polnisch. Weil das Grundstück so riesig ist, vermietet Marzena einige Teile davon. Einen Teil besetzt Sonja, sie ist ein 20jähriges Maori-Mädel mit zwei Pferden, einem deutschen Schäferhundmischling und einer weißen Ziege und sie wohnt in ihrem eigenen Pferdeanhänger (okay…). Eine kleine Hütte next to the house besetzt ein IT-Profi, der für Minolta arbeitet, ich habe seinen Namen vergessen, aber er ist auch irgendwie nie da. Und eine weitere Hütte etwas oberhalb auf dem Hügel wird regelmäßig an Travellers vermietet; davon bekommen wir hier unten aber nix mit. Interessant, dass hier in NZ die Grundstücke immer gleich so riesig sind… für eine alleinerziehende Mutter mit Kind natürlich 1000mal zu groß. 


An unserem ersten Abend sind wir vor allem damit beschäftigt, das für uns vorgesehene Zimmer und das Bad zu putzen, unser Bett zusammenzubauen, zu staubsaugen, Spinnweben und Kacka von allen möglichen Nagetieren zu entfernen und alles wohnlich zu machen; aber als die Arbeit vollendet ist, sieht es sehr gut und wohnlich aus! Und einen kleinen Swimmingpool gibt es auch!



Die ersten beiden Tage verbringe ich mit Fensterputzen, mittlerweile bin ich Profi… auch wenn mir das nach wie vor nicht wirklich Spaß bereitet, haha. Das Wetter ist total verrückt. Ehrlich. Man merkt, dass Neuseeland eine Insel ist. Am selben Tag kann es schiffen wie blöde und nachmittags ist es so heiß, dass man in 15 Minuten einen Sonnenbrand hat.

Wetter: bescheiden, aber: ich war in Paihia!
Marzena ist sehr bemüht um uns, zeigt uns das berühmte Paihia – leider schifft es an diesem Morgen wie blöd – und wir laufen am Strand herum und schauen uns die Shops an, aber insgesamt ist Paihia auch nur eine Seaside-Town wie Mission Bay und St Helliers auch. Klar, nett, mit Ozean und so; sehr viele Souvenirshops, und ich bin verführt, Geld auszugeben, aber Laszlo hält mich freundlicherweise davon ab. Man kann Schwimmen-mit-Delfinen-Touren machen und Speedboat-Touren und sonstige Touri-Touren, aber irgendwie bin ich gar nicht mehr so begeistert davon… seit ich auf Kawau Island Kajak paddeln durfte und unmittelbar von Rochen und Orcas umgeben war, habe ich nicht mehr das große Bedürfnis, mich zwischen 50 andere schnatternde Touristen mit klackernden Fotokameras zu quetschen und um einen Platz an der Reling zu streiten, um den einen Delfin zu beobachten, der sich in die Nähe des Bootes verirrt hat. Neinnein. Ich bin sicher, eines Tages, wenn die Zeit gekommen ist, werde ich das erleben, und zwar vollkommen untouristisch und natürlich und wundervoll. 


Ausgiebige Huldigung eines sehr geschichtsträchtigen Platzes in Kerikeri!
Am zweiten Tag zeigt uns Marzena Kerikeri, die Stadt, wo zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ersten englischen Siedler landeten und sich ein nettes kleines Mansion House gebaut haben – popular – sowie ein Steinhaus, und beide sind sehr berühmt, weil es nun mal die ersten Häuser in Neuseeland waren. Während die Maori sich noch gegenseitig kannibalisiert haben, stiegen die ersten feinen englischen Damen mit weißen Handschuhen und feinen Sonnenschirmen aus den Schiffen und pflanzten Feigen- und Grapefruitbäume auf einer Insel, die wie geschaffen ist für diese Pflanzen. Hihi. Die sind heute immer noch da, und jeder kann sich bedienen (auch wenn es kaum jemand wagt). Und so machen wir ein kleines Picknick in der Sonne am Fluss next to Mansion House, trinken Champagner (das war nicht meine Idee…) und ernten Feigen, Pflaumen, Grapefruits, Zitronen und was der paradiesische Garten noch so zu bieten hat. Hella, der Westie, jagt währenddessen die Fasane im Garten.

Touristenfoto vor der Kerikeri-Policestation
 Anschließend dürfen Laszlo und ich noch ein bisschen durch Kerikeri bummeln, wo wir insbesondere die herrlichen hellblau blühenden Jacaranda-Bäume bewundern. Das heißt, ich bewundere sie; Laszlo erklärt mir eher, dass es in Südafrika ganze Straßenalleen davon gibt, und dass alles wie ein hellblauer Teppich aussieht, wenn die Bäume die Blütenblätter abwerfen. Stelle ich mir schön vor… in Botswana gab’s sowas nicht, viel zu heiß und wüstig. Kerikeri ist ein hübsches Städtchen, gefällt mir insgesamt besser als Paihia. Es gibt mehr zu shoppen, nicht nur Souvenirs, und alles ist relativ zentral beisammen, auch die großen Supermärkte. Oh ja. Ich kaufe mir einen Reismilch-Vorrat im „New World“. Es gibt eigentlich nur zwei große Ketten hier, Countdown und New World, und die sind überall. 








(Christmas Tree) Im einen Moment strömender Regen...
...zehn Minuten später Sonnenschein! (Jacaranda Tree)
Hochkonzentriertes Anbringen von
Feen-Haarschmuck
Zusammenfassend kann ich erst mal sagen: Kein schlechter Platz hier. Natürlich kein Vergleich zum paradiesischen Aio Wera oder zu Kawau Island, aber durchaus interessant. Vor allem interessant zu sehen, wie Menschen so leben können, wie sie denken, sich organisieren (oder auch nicht), was für sie wichtig ist und was sie bereit sind dafür zu tun (oder dagegen. Das passiert interessanter Weise öfter, als man denkt). Interessant, „um diese Jahreszeit“ ständig Weihnachtsmusik zu hören (polnisch, englisch oder auch deutsch), und auch interessant polnisch bekocht zu werden. Viel Fleisch, ist ja nicht so meins, aber das macht gar nix – hilft mir, ein bisschen was von meinem aufgefutterten Vegetarisches-Luxusessen-Speck abzubauen ;) Petronella ist süß (bisher), ein bisschen einsam und anschlussbedürftig und ein bisschen in ihrer eigenen Traumwelt, aber süß. Sie hat viele Feenfreunde im Garten, für die sie täglich Blumensuppe und -kaffee kocht und die nur sie sehen kann mit ihrer speziellen durchsichtigen unantastbaren Feen-Brille. Manchmal habe ich noch ein bisschen Schwierigkeiten, ihr Englisch zu verstehen ("DJ is my fen, Me I'm da pinsi and me call him pin!" = "DJ is my friend, I am the princess and I call him prince"). Hihi....

Außerdem schön, jeden Tag nach der Arbeit einen Pool zu haben, in den man kurz hüpfen kann; es ist aber auch notwendig, wenn die Sonne bratzt und man vier bis acht Stunden Fenster putzt (z.T. 3 Meter über dem Kopf). Die Aussicht ist ebenfalls wunderschön, besonders in der Nachmittagssonne, und überall sind Tiere, die manchmal in den Garten kommen (dann müssen wir sie mit den Fensterputz-Teleskopbesen verscheuchen, damit sie nicht die Blumen fressen). Und natürlich nach wie vor am schönsten, ich selbst zu sein und zusammen mit Laszlo sein zu dürfen – da ist es eigentlich egal wo und was ich tue… :)

Swimmingpool-Flower-Fairies ;)