Samstag, 15. April 2017

Windhoek


Ich bin ganz schön traurig, das verkünden zu müssen, aber Lizzys Zeit auf der Farm neigt sich ihrem Ende zu… sie hat gute Freunde in Windhoek, die sie besuchen möchte, bevor sie zurück nach Kapstadt fliegt, und weil ich auch gerne ein bisschen mehr von Namibia sehen möchte, klinke ich mich mit ein. Wir buchen den „Sleepliner“ von Karasburg nach Windhoek und machen uns auf eine acht- bis neunstündige Busfahrt gefasst… allerdings über Nacht. Red fährt uns nach Karasburg und wir warten im Auto, bis der Bus ankommt – das ist wohl auch die einzige Chance, zu überleben. Es ist Freitagabend und Karasburg ist, um milde Worte zu benutzen, unheimlich. Ich bin ziemlich sicher, wenn Red uns einfach abgesetzt hätte, hätten wir echte Überlebenskünste und viel Glück gebraucht, denn die (ausschließlich schwarzen) Leute, die hier abhängen, sind nicht nur gelangweilt und verzweifelt, sondern auch betrunken (mindestens). In den fünf Minuten, in denen wir vom Auto auf den Bus umsteigen, werden wir sofort von seltsamen Männern angelallt, aber die Busfahrer händeln das ganz professionell. Ich bin diesmal nach Afrika gegangen mit der Mission, mir Stachelschweinstacheln wachsen zu lassen, und das war ein gutes Übungsfeld: Auch wenn der Typ nur zehn Zentimeter von deinem Gesicht entfernt ist – das Beste ist, nicht zu reagieren und schnell und sauber dein Ding durchzuziehen, um von da wegzukommen. Ich hätte am Flughafen, als der Typ einfach mein Gepäck snatchte und davonrannte, auch ein paar mehr Stacheln ausfahren sollen! Aber damals war ich geflasht und müde und mir war heiß und, soweit ich mich erinnere, auch nicht so gut. Mir sei verziehen.

Die Fahrt im Sleepliner ist total angenehm! Man kann die Sitze zurückstellen und die Beine hochlegen und Lizzy und ich kuscheln die ganze Nacht auf einem bunt zusammengewürfelten Haufen vor uns hin. Am Morgen holt uns Ulrike, Lizzys Freundin, vom Bus ab. Sie hat gerade ein paar schwere Schicksalsschläge erlitten und braucht dringend gute Energie, und davon haben wir viel J Ulrike hat einen 21jährigen Sohn und eine 17jährige Tochter mit Pferd und stellt sich als unheimlich liebe Gastgeberin heraus. Wir genießen den Komfort eines normalen Stadtlebens von ganzem Herzen: es ist nicht so heiß die Tage (nur ca. 25-30 Grad), man kann die Temperatur in der Dusche einstellen und unter richtig fettem Wasserstrahl duschen, man kann sich anschließend mit Bodylotion eincremen und es bleibt nicht sofort eine zentimeterdicke Staubschicht darauf kleben, wir schlafen (gemeinsam, weil wir so gut im Kuscheln sind) in einem richtigen sauberen Bett mit Matratze und Bettdecke, Ulrike hat eine tolle Kaffeemaschine, in der Stadt kann man Eis kaufen, und Schnürsenkel, und ein neues Duschgel (Haferduft!) und Zahnpasta, die Familie hat eine Haushaltshilfe, die für uns kocht und abwäscht und unsere Wäsche in der Waschmaschine(!) wäscht… ja, es bringt mich auch zum Lachen, wenn ich das so lese, aber all diese „Kleinigkeiten“ haben mich so erfreut! Insbesondere sauber zu sein und die Wäsche mal richtig zu waschen (meine Shorts sind eigentlich hellblau. Im letzten Monat hatte ich den Eindruck gewonnen, sie sind beigefarben) ist schön!

Joggen hat mir auf der Farm allerdings besser gefallen. Ich würde nicht sagen, dass ich mich unwohl/bedroht gefühlt habe, aber es ist schon was anderes, wenn man von den Hauptstraßen und den „Arbeitswegen“ der schwarzen Arbeitern wegbleiben muss, aber trotzdem immer in der Nähe von Häusern… Lizzy hat mir in diesem Bereich so viel voraus, sie ist ein fertig ausgewachsenes Stachelschwein und „streetwise“ und hat in Südafrika gelernt, dass Höflichkeit nicht immer die sichere Variante ist. „That’s nothing to do with racism!” Als ich am nächsten Morgen alleine joggen gehe, verstehe ich, was sie meint – jedes Mal, wenn ich an jemandem vorbeijogge, senke ich den Blick oder starre stoisch geradeaus. Kein Augenkontakt, kein Grüßen. Das geht mir ein bisschen gegen meine gute deutsche Erziehung, aber es stimmt, dass ein Augenkontakt von der falschen Person als ein heißer Flirt interpretiert werden kann (…und dann erst ein Gruß!). Obwohl ich meine zarten langsam wachsenden Stacheln stolz ausgefahren habe, werde ich angehupt, bepfiffen und mit aufheulendem Motor und Warnblinke überholt. Das tut ganz offensichtlich nicht weh, but you get the idea. No risk please.

Weil ich grade keine Lust auf ganze Sätze habe, mache ich euch eine kurze Liste der Dinge, die ich in Windhoek genossen habe:

-          Ulrike, Tara und Mario; man kann sie schnell ins Herz schließen und ich habe die Zeit mit ihnen sehr genossen! (sie sprechen übrigens Deutsch untereinander und nur für Lizzy Englisch; ich brauchte ein bisschen, um mich umzugewöhnen, aber meiner deutschen Zunge haben die Lockerungsübungen sicher nicht geschadet)

-          Ulrikes Katzen! Mal wieder so richtige Schmusekatzen durchzuknuddeln war so schön! Ich liebe Katzen!

-          Die „einfachen Freuden der Zivilisation“ habe ich ja schon aufgeführt

-          Das milde Wetter

-          Ulrike hat eine kleine Windhoek-Sightseeingtour mit uns gemacht, die ich sehr genossen habe; auch wenn die Deutschen in den Museen und auf den Denkmälern nicht gut wegkommen…

-          Bananen-Honig-Sesam-Shake im Arts-/Crafthouse in Windhoek, ein sehr schnuckeliger Platz, wo man lokale Kunst und Handgemachtes kaufen kann und im Café auf dem Balkon sitzen kann (und ALLE sprechen Deutsch…)

-          Wir sind mit Tara in den Stall gefahren, um ihren tapsigen Warmblüter kennenzulernen, und ich habe ihr eine Reitstunde gegeben, in der sie sich super angestellt hat (während ihr Schnuffel über fünf Zentimeter hohe Cavalettis stolperte ;) )

-          Wir haben den Zuchtstall besucht, wo sie ihr Pony her hat, und ich habe mich über Warzenschweine, Kudus, Oryx, Fohlen und Kühe gefreut (ich durfte ein Kälbchen mit der Flasche füttern, aaaaaaw!)

-          Tara hat uns sehr leckere „Crunchies“ gebacken

-          Frühstück in Windhoek im deutschen Café Schneider – again: alle sprechen Deutsch… und hinter mir ein beleibter Herr in den Fünfzigern mit Bier und Zeitung am Frühstückstisch, und als die Bedienung ihn fragt, ob er noch etwas möchte, sagt er (auf Deutsch und mit herzerfrischender Inbrunst): „Ich bin zufrieden!“

-          Eisessen in Windhoek (ich habe seit ca. 3 Jahren kein Eis mehr gegessen; no sugar, no dairy vertrug sich nicht so gut mit Eis – aber jetzt bin ich ja wieder ganz normaler Vegetarier ;) )

-          Turnen in Ulrikes hauseigenem Pilatesstudio und Ausprobieren ihrer ganzen Pilatesgeräte

-          Eine Yin-Yogastunde

-          Zu sehen, wie Ulrike vom ersten Tag bis zum letzten immer lebendiger und positiver wurde (to be continued!)

-          Die ganze Familie war von Herzen amüsiert über den Exklusivkurzfilm, den Lizzy und ich gedreht haben (ich habe ihr „mein kleiner grüner Kaktus“ von den Comedian Harmonists auf Deutsch beigebracht und sie auf der Gitarre begleitet – schweigend, weil ihr „Deutsch“ so herrlich ist) und zum Abschied hat uns Ulrike jeweils einen Mini-Stoff-Kaktus geschenkt <3 Meine Stacheln wachsen! Watch out man!

-           Ein herrliches Abendessen im „Stellenbosh“, einem sehr schönen Café/Restaurant/Weindings mit tollem Ambiente, für das man in Deutschland mehr bezahlen würde! Wer in Windhoek ist, sollte sich das definitiv anschauen (Freitag, Samstag, Sonntag reservieren!). Ich habe eine superleckere und definitiv ausreichend große Pizza mit Rucola, gebackener Rote Beete und Butternuss, parmesanähnlichem Käse, Feta, Knoblauch und Tomate vertilgt (und a bisserl Rotwein :D )

-          Ich habe mir zumindest Mühe gegeben, neue Laufschuhe zu finden – dass meine alten alt sind, lässt sich jetzt nicht mehr leugnen…

-          Noch viiiiel mehr…

Was nicht auf diese Liste passt, aber dennoch erwähnenswert ist: Windhoek ist viel deutscher als ich dachte! Ich habe mir in Berlin eine Dokumentation angeschaut „Auf den Spuren der Deutschen in Windhoek“ oder so, und da kam das überhaupt nicht rüber!!! Die machten in der Doku einen Riesenaufwand, wenn sie was Deutsches fanden, dabei findet man in Windhoek genauso einfach was Deutsches wie in Berlin :D Deutsche Cafés, Shops, Produkte, Dienstleistungen, Straßen- und Gebäudenamen, und natürlich deutschsprachige Menschen – literally everywhere. In Taras Stall habe ich fast vergessen, wo ich bin – wenn ich nur über die Kakteen, die Palmen und das „undeutsche“ Vogelzwitschern hinwegsehe, fühle ich mich total in Deutschland. Alles grün, Reitplatz, deutsche blonde Ponymädchen, Warmblüter (aus aus Deutschland importiertem Samen)… ich weiß nicht, ob ich das gut oder seltsam finden soll ;)

Was ich persönlich noch erwähnenswert finde, weil es mich zutiefst beeindruckt hat: Lizzy hat den süßesten Kanarienvogel der Familie geköpft. Sie hatten fünf Kanarienvögel in einem Käfig, und eines Tages war der, den ich am meisten mochte, plötzlich ganz zerrupft und elend. Er saß auf dem Boden und atmete schwer, und nach einer kurzen Inspektion durch Lizzy (die ich auch hätte machen können, weil es leider recht offensichtlich war) stellte sie die folgende Diagnose: Bein gebrochen und Flügel ausgerissen. Offenbar hat eine Katze oder ein anderer Räuber versucht ihn zu schnappen und den Flügel gevespert. Es war offensichtlich, dass der Vogel schwer litt und nicht zusammenflickbar war, und ich wünschte, ich könnte in so einer Situation handeln – aber ich konnte nicht mal zusehen, als Lizzy ihm dem Kopf abschnitt. Sie beerdigte ihn und pflanzte ein paar Blümchen auf seinem Grab… vielleicht lernt man sowas, wenn man eine Tierarzthelferin-Ausbildung macht… ich wünschte, ich könnte das auch, ehrlich gesagt. Das war das dritte Mal, dass ich wirklich froh war, dass Lizzy schwer leidende Kreaturen erlösen kann (1. Gecko, 2. Riesenheuschrecke, 3. Kanarienvogel!), wenn es so ganz offensichtlich das einzig Richtige ist. Respekt kleine Lizzy.

Jetzt sitze ich im Shuttle nach Swakopmund – und Lizzy im Flieger nach Kapstadt. Ich hab sie wirklich unheimlich liebgewonnen und werde dafür sorgen, sie bald wieder zu sehen. Love you little Lizzy J

In Swakopmund werde ich drei Nächte verbringen – so richtig als Tourist, aber in der Wohnung von Ulrike, die sie mir liebenswürdigerweise zur Verfügung stellt – und ich freu mich schon, den Ozean zu sehen. Swakop liegt an der Westküste Namibias und jeder sagt mir, es ist schön dort und man kann sogar im Ozean schwimmen! Morgen soll es richtig heiß werden, da ist bestimmt ganz Swakop im Wasser J Ulrike hat mir einen Stadtplan gezeichnet inklusive der BESTEN EISDIELE DER WELT MIT AUSRUFEZEICHEN und einem Shop, auf den ich mich riesig freue, weil ich mich in Taras Armbänder verliebt habe, die sie dort gekauft hat… we’ll see! We’ll see!

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