Tja,
schon ist es soweit – es sind so viele Eindrücke zusammengekommen, dass meine
Finger den Kopf vorm Überlaufen schützen müssen… und ich werde ein bisschen
schreiben, über meine neueste Reise, die gerade erst begonnen hat: Japan.
Japan
war auf meiner Liste – tick – wie so’n blinder Ländersammeltourist; Botswana
– tick -, Neuseeland – tick -, Australien – tick-, Norwegen –tick-…. Und so
weiter. Manche Leute ticken so schnell, dass sie dafür nicht mehr „richtig“
ticken (ok, blöder Wortwitz, I admit.). Aber es gibt schon sehr verschiedene
Arten zu reisen und ich bevorzuge auf jeden Fall die langsame, menschennahe,
genau beobachtende. Deshalb auch der Überlauf an Eindrücken. Vielleicht ist es
einfacher, wenn man einfach im Pulk von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten
gekarrt wird, im klimatisierten Reisebus, der am Zielort die ganze Ladung
auskippt, sie mit wild klickenden Fotoapparaten auf die jeweilige
Touristenattraktion loslässt und nach zwei Stunden wieder einsammelt, um sie
zum nächsten Ort zu bringen. Vielleicht aber auch nicht. Auch da kann das
Gehirn vermutlich überlaufen, wenn auch eher visuell oder informativ. Ich würde
sagen, ich mag – je nach Zeit und Interesse – so ein mittelintensives Reisen.
Menschen, Kultur, Geschichte, Traditionen, naja, was sich eben besonders
anfühlt. Ich häufe jedenfalls keine zusammenhanglosen Informationen in meinem
Reisegehirn an. Bleiben tut erfahrungsgemäß vor allem das, was mich berührt.
Also, Japan.
Also, Japan.
Fünfzehn
Stunden Flug. Turkish Airlines. Insgesamt von unserer Wohnung in Berlin bis zu
unserem Domizil in Kyoto ca. 24 Stunden Hin und Her sowie Auf und Ab im
wahrsten Sinne, keine coolen Filme, richtig viel Essen, aber dafür leider nicht
vegetarisch (merke für den Rückflug: Unbedingt online vorbestellen!), daher wanderte
viel von meinem Tablett auf Laszlos, der aber irgendwann auch einfach genug
hatte. Viel Freigepäck (klaro, Turkish Airlines, right? Da reisen ganze
Großfamilien! Mit kompletten Hausständen!) und ein paar Turbulenzen. Ich habe
keine Flugangst, aber ausgerechnet an unserem Abflugtag kam die GermanWings
Katastrophe Frankreich in die Medien und weil sowas selten passiert, wurde die
Öffentlichkeit bis ins Detail informiert – ich muss zugeben, dass mir dezent
flau war, auch wenn mein Vertrauen ins Leben im Allgemeinen überwiegte und
siegte. ;) Nach alldem war ich in Osaka angekommen einfach nur froh und dankbar
über einen sicheren Flug und schaffte es, den ganzen Rest auszublenden,
inklusive zwei Stunden Anstehen an einer vollkommen überquellenden
Einwanderungs-Passkontrolle. Überquellen tat sie vor allem dank vieler,
wahnsinnig vieler Chinesen und ein paar
Malays-Malayen-Malaysiamenschen-Malaysianern? Ich tippe auf Letztes. Viele
asiatische Länder haben bis Ende April Ferien und jeder will zur Kirschblütensaison
nach Osaka/Kyoto (oder Tokyo, I guess)! Deutsche waren gar nicht so viele am
Start, ganz anders als in Australien/Neuseeland, wo man in jedem Backpackers hauptsächlich
Deutsch zu sprechen scheint. In der ca. 800 Meter langen Schlange jedenfalls
sah man höchstens 10 oder 12 nicht-schwarzhaarige Köpfe.
Ich hatte jedenfalls
genug Zeit, auf Toilette zu gehen und mich von den berühmt-berüchtigten
japanischen WC’s beeindrucken zu lassen. Sitzheizung, drei verschiedene
Waschgänge, you name it. Aber bitte in japanischen Buchstaben. Und da fängt
auch schon das Problem an, woher soll man wissen, was passiert, wenn man hier
oder dort drückt? Wäre ja alles nicht so tragisch, aber spülen wollte ich schon
gern… und war daher dankbar über das englische Wort „Flush“ auf einem der
Knöpfe, den ich dankbar presste. Tja, Pustekuchen. Es klang zwar wie Spülen - der tatsächliche Effekt des Runterspülens
blieb jedoch völlig aus. Als ich später jemanden fragte, bestätigte sich mein
Verdacht: Den japanischen Frauen ist es peinlich, wenn andere hören, wie sie
plätschern (oder platschen) – und um das zu überdecken, kann man den
Flushing-Sound-Knopf drücken und während des Plätschergeräusches vom Band nach
Herzenslust den eigenen Körperfunktionen inklusive Ton freien Lauf lassen.
Vielleicht
ist der Satz „den japanischen Frauen ist es peinlich“ auch aus sehr deutscher
Perspektive gedacht – unter Umständen möchten sie einfach nur aus Respekt und
Höflichkeit ihren Mitmenschen derartige Geräusche nicht zumuten.
Die
japanische Kultur ist voller Fettnäpfchen für Landesfremde. Also, richtig voll.
Nach „Guten Tag“ und „Danke“ (in höflicher Form) ist das nächst-wichtige Wort
definitiv „Entschuldigung!“. Vermutlich habe ich das bisher am öftesten
gebraucht. Entweder das oder Danke. Es gibt so viele gesellschaftliche Normen,
offenbar, und es ist sehr einfach, unhöflich zu sein, selbst wenn man das gar
nicht vorhatte. Deutschland ist ja im internationalen Vergleich auch nicht so
schlecht dabei, was Höflichkeit und „public shame“ betrifft – ich hatte
irgendwie gedacht, dass viele Deutsche deshalb respektvoll, höflich und
regelkonform leben, weil sie Angst davor haben, was andere über sie denken. Und
ich hatte gehofft, dass es in Japan andersrum ist: Dass Japaner respektvoll,
höflich und regelkonform leben, weil sie andere Menschen einfach aus ganzem
Herzen lieben und respektieren. Also, Liebe statt Furcht als Basis für
höfliches Verhalten. Bisher konnte ich das Motiv für die unermessliche
Höflichkeit der kleinen Leute (noch?) nicht herausfinden – aber höflich sind
sie, unglaublich höflich! Sorry für die „kleinen Leute“ – ich versuche nur zu
kompensieren, dass ich mir in diesem Land zu groß, zu dick und zu europäisch
vorkomme. Man sieht wirklich nicht sooo viele nicht-asiatisch-aussehende Menschen.
Außer manchmal an den Touristenattraktionen, wo sie aus den Reisebussen gekippt
und später wieder fein säuberlich eingesammelt werden. Apropos: Japaner sind
nicht nur höflich, sondern auch unglaublich sauber. Nirgendwo findet man Müll,
aber auch nirgendwo Mülleimer! Jeder nimmt allen Müll, den er mitgebracht hat,
einfach super-ordentlich wieder mit nach Hause, um ihn dort in die
entsprechenden 10 Mülltrennungscontainer zu entsorgen. Selbst Plastikflaschen
sollten (unter gewissen Umständen) von ihren Deckeln getrennt werden. Übrigens
sind nicht nur die Leute klein. Genau genommen ist fast alles sehr klein. Die
Leute, also auch die Kleider, Schuhe, Zimmer/Wohnungen, die Straßen, demzufolge
auch die Autos und Garagen (alter Schwede! Hätte ich ein Auto, hätte das sicher
keine Rückspiegel (mehr)!), mein Fahrrad, mit dem ich unterwegs bin (ich hebe
beim Fahren die Ellenbogen hoch, damit ich nicht mit den Knien dagegen trete),
und, zu meinem großen Leidwesen, auch die Türrahmen. Laszlo passt noch aufrecht
durch, ich nicht. Gestern habe ich mir bestimmt fünfmal richtig den Kopf
angehauen. Heute bislang nur zweimal, davon war einmal aber richtig dolle.
Unser japanischer Gastgeber findet das erheiternd, glaube ich. Ich kann es ihm
nicht verdenken – es ist erheiternd… zu
meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es nicht nur Türrahmen sind (da denke
ich ja meistens noch dran), sondern auch einfach nur Balken, die mitten durch
den Raum gehen. Und weil der Raum nicht sehr groß ist und in der Mitte der
Esstisch steht (traditionell japanisch sehr niedrig, man sitzt auf Kissen drum
herum, nicht auf Stühlen), muss man zum Navigieren tendenziell nach unten
schauen und vergisst die Gefahr von oben! Angeblich sind die „modernen“ Häuser
höher gebaut, aber wir wohnen in einem traditionellen japanischen Haus und
damals gab es glaub noch keinen europäischen Einfluss. Niemand war höher als
1,73m. Behaupte ich. Anhand der Balken und Türrahmen.
"Unsere" Straße: Eine ganz normale Wohnhaus-Straße in Kyoto |
Es
gibt auch Dinge, die sind nicht so klein in Japan. Zum Beispiel die Bettdecken.
Hallelujah. Ich verstehe auch wieso, denn nachts ist es eise-schweinekalt.
Diese dünnen (traditionellen) Schiebetüren dichten halt einfach mal nicht
richtig ab. Und Heizung gibt es nur im Hauptraum. „Früher“ gab es wohl gar
keine und nicht mal ne warme Dusche, die meisten Familien gingen zum Waschen
ins public bath / öffentliche Bad und wickelten sich dann zu Hause in ihre
riesigen Bettdecken ein, um nicht zu erfrieren. Das tu ich nachts übrigens
auch. Wir schlafen auf Futons und Reiskissen, extrem viel härter als alles, was
ich gewöhnt bin – eigentlich fühlt es sich an wie auf Holz schlafen. Sehr
gewöhnungsbedürftig, insbesondere mit Jetlag, wenn man nachts um fünf aufwacht
und einfach nicht mehr einschlafen kann, dann aber um acht Uhr morgens am
liebsten für ewig ins Bett gehen würde… aber das wird sich schnell legen. Ich
schätze, die Hüfte gewöhnt sich dran. Also ans harte Bett, nicht an den Jetlag.
Wir
sind in Kyoto praktisch die ganze Zeit mit den Rädern unterwegs, was
superpraktisch ist. Regeln habe ich noch keine erkannt. In Berlin, soviel steht
fest, wäre ich bereits tot. Aber die japanische Höflichkeit spiegelt sich auch
im Straßenverkehr wieder – jeder ist so unfassbar rücksichtsvoll, wartet
geduldig, stoppt für alles und jeden, ohne sonderlich erkenntliche Regeln
(abgesehen natürlich von der (theoretischen) Existenz von Linksfahrgebot und
Ampeln). Wenn man nach dem geht, was sich beobachten lässt, gilt die Regel:
Schwächere vor Stärkeren. Fußgänger vor Radfahrern vor Autofahrern. Was
bedeutet, je „größer“ man unterwegs ist, desto länger muss man auf alles und
jeden warten. Aber Warten scheint kein Problem zu sein. Wenn eine
Menschengruppe den ganzen Fußweg (sofern es einen Fußweg gibt, die ganzen kleinen
Straßen haben gar keinen) versperrt und es kommt ein Radfahrer an, so ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Radfahrer abbremst und wortlos geduldig vor/hinter
der Gruppe steht, bis diese sich dazu bewegt, den Weg freizumachen. Dann wird
der Radfahrer sich vermutlich noch überschwänglich mit hektischen Verbeugungen
bedanken, bevor er seinen Weg fortsetzt.
Sogar die Zäune sind süß - wo in Deutschland monströse Drahtgitterzäune errichtet werden, sieht man in Kyoto Kaninchen... |
...und Frösche :D |
Dasselbe
ist uns im Supermarkt beim Food-Shoppen passiert: Wir versperrten
(unabsichtlich, natürlich) den Ausgang für eine junge Frau, während Laszlo
und Viki diskutierten, was das für ein seltsames Gemüse ist, aus dem die Chips
gemacht wurden. Die junge Dame suchte unterdessen wortlos lächelnd nach einer Lücke, durch
die sie vielleicht nach draußen gelingen könnte. Sie fand keine, was mir dann
auch klar wurde – perspektivisch war das nicht so ersichtlich – also trat ich
mit dem Einkaufswagen zur Seite, um sie durchzulassen. Sie schenkte mir ihr
schönstes Lächeln und verbeugte sich doppelt vor mir. Das ist einfach so
unglaublich süß.
Stundenlanges Stillsitzen für ein Hochzeitsfoto... und trotzdem süß :D |
Alles ist sooo süß. Man kann sich das echt nicht vorstellen.
Die Leute auf den Straßen sind supersüß, die Mädchen in ihren Schuluniformen,
die Kleinkinder sowieso (Sweetness Overload!!!), die alten Menschen, einfach
der ganze Umgang miteinander, die Verkäuferinnen in den Läden, die dir beim
Eintreten mit ihren zuckersüßen Stimmen entgegenrufen, wie dankbar sie sind,
dass du in ihren Shop kommst (das ist alles, was ich verstehe – remember:
Danke!), ja sogar junge Männer, die auf den Straßen spielen. Es geht ja
grundsätzlich ums Spielen hier – diese uralten Kaugummiautomaten, die es
während meiner Kindheit noch an vielen Ecken gab (remember: Man wirft eine Mark
rein oder so und dreht an einer Kurbel und unten kommt ein halbtransparenter
Plastikball mit irgendwas drin
heraus) – ja genau diese Dinger haben hier Hochkunjunktur. Sie stehen in
Armeen, 20, 30 Stück, überall, zum Beispiel wenn man das japanische Äquivalent
zu Mediamarkt verlässt oder auch einfach nur so in der Fußgängerzone.
Spieleparadies: Alles blinkt, macht Krach und quasselt |
Oder auch
diese Greifarmdinger (wirf eine Münze ein und versuche mit einem Hebel einen
Greifarm dazu zu bringen, ein quietschbuntes kitschiges Kuscheltier zu angeln,
das mit ziemlicher Sicherheit auf halbem Weg wieder aus der Zange fällt, sofern
du es überhaupt erwischst). Und dann gibt es noch viele Spiele, die ich nicht
durchschaue (Trommel mal langsam und mal ganz schnell auf eine Trommel und
schaue dabei auf einen Bildschirm, wo lustige Äffchen tanzen).
Wir
hatten in den ersten Tagen den riesigen Vorteil, dass Laszlos Tochter Viki uns
durch Kyoto führen konnte und uns beim Shoppen alles übersetzt hat, sodass wir
z.B. fischfreie Sojasoße und ordentliches Öl sowie Gemüse aus
nicht-radioaktiven Gegenden Japans kaufen konnten. Und sie hat uns vegane
Restaurants gezeigt (daher der vegane Burger!). Außerdem kennt sie sich super
aus in Kyoto und wir konnten auf den Rädern einfach hinter ihr her flitzen. Das
wird bald etwas komplizierter, weil sie ab Samstag für eine Weile nicht da ist
und wir uns dann ganz allein orientieren müssen. Wir werden sehen, wie das klappt!
:D
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