Samstag, 28. März 2015

Ins Land der aufgehenden Sonne...


Tja, schon ist es soweit – es sind so viele Eindrücke zusammengekommen, dass meine Finger den Kopf vorm Überlaufen schützen müssen… und ich werde ein bisschen schreiben, über meine neueste Reise, die gerade erst begonnen hat: Japan.

Japan war auf meiner Liste – tick – wie so’n blinder Ländersammeltourist; Botswana – tick -, Neuseeland – tick -, Australien – tick-, Norwegen –tick-…. Und so weiter. Manche Leute ticken so schnell, dass sie dafür nicht mehr „richtig“ ticken (ok, blöder Wortwitz, I admit.). Aber es gibt schon sehr verschiedene Arten zu reisen und ich bevorzuge auf jeden Fall die langsame, menschennahe, genau beobachtende. Deshalb auch der Überlauf an Eindrücken. Vielleicht ist es einfacher, wenn man einfach im Pulk von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gekarrt wird, im klimatisierten Reisebus, der am Zielort die ganze Ladung auskippt, sie mit wild klickenden Fotoapparaten auf die jeweilige Touristenattraktion loslässt und nach zwei Stunden wieder einsammelt, um sie zum nächsten Ort zu bringen. Vielleicht aber auch nicht. Auch da kann das Gehirn vermutlich überlaufen, wenn auch eher visuell oder informativ. Ich würde sagen, ich mag – je nach Zeit und Interesse – so ein mittelintensives Reisen. Menschen, Kultur, Geschichte, Traditionen, naja, was sich eben besonders anfühlt. Ich häufe jedenfalls keine zusammenhanglosen Informationen in meinem Reisegehirn an. Bleiben tut erfahrungsgemäß vor allem das, was mich berührt. 
 Also, Japan.

Fünfzehn Stunden Flug. Turkish Airlines. Insgesamt von unserer Wohnung in Berlin bis zu unserem Domizil in Kyoto ca. 24 Stunden Hin und Her sowie Auf und Ab im wahrsten Sinne, keine coolen Filme, richtig viel Essen, aber dafür leider nicht vegetarisch (merke für den Rückflug: Unbedingt online vorbestellen!), daher wanderte viel von meinem Tablett auf Laszlos, der aber irgendwann auch einfach genug hatte. Viel Freigepäck (klaro, Turkish Airlines, right? Da reisen ganze Großfamilien! Mit kompletten Hausständen!) und ein paar Turbulenzen. Ich habe keine Flugangst, aber ausgerechnet an unserem Abflugtag kam die GermanWings Katastrophe Frankreich in die Medien und weil sowas selten passiert, wurde die Öffentlichkeit bis ins Detail informiert – ich muss zugeben, dass mir dezent flau war, auch wenn mein Vertrauen ins Leben im Allgemeinen überwiegte und siegte. ;) Nach alldem war ich in Osaka angekommen einfach nur froh und dankbar über einen sicheren Flug und schaffte es, den ganzen Rest auszublenden, inklusive zwei Stunden Anstehen an einer vollkommen überquellenden Einwanderungs-Passkontrolle. Überquellen tat sie vor allem dank vieler, wahnsinnig vieler Chinesen und ein paar Malays-Malayen-Malaysiamenschen-Malaysianern? Ich tippe auf Letztes. Viele asiatische Länder haben bis Ende April Ferien und jeder will zur Kirschblütensaison nach Osaka/Kyoto (oder Tokyo, I guess)! Deutsche waren gar nicht so viele am Start, ganz anders als in Australien/Neuseeland, wo man in jedem Backpackers hauptsächlich Deutsch zu sprechen scheint. In der ca. 800 Meter langen Schlange jedenfalls sah man höchstens 10 oder 12 nicht-schwarzhaarige Köpfe. 

Ich hatte jedenfalls genug Zeit, auf Toilette zu gehen und mich von den berühmt-berüchtigten japanischen WC’s beeindrucken zu lassen. Sitzheizung, drei verschiedene Waschgänge, you name it. Aber bitte in japanischen Buchstaben. Und da fängt auch schon das Problem an, woher soll man wissen, was passiert, wenn man hier oder dort drückt? Wäre ja alles nicht so tragisch, aber spülen wollte ich schon gern… und war daher dankbar über das englische Wort „Flush“ auf einem der Knöpfe, den ich dankbar presste. Tja, Pustekuchen. Es klang zwar wie Spülen - der tatsächliche Effekt des Runterspülens blieb jedoch völlig aus. Als ich später jemanden fragte, bestätigte sich mein Verdacht: Den japanischen Frauen ist es peinlich, wenn andere hören, wie sie plätschern (oder platschen) – und um das zu überdecken, kann man den Flushing-Sound-Knopf drücken und während des Plätschergeräusches vom Band nach Herzenslust den eigenen Körperfunktionen inklusive Ton freien Lauf lassen.


Vielleicht ist der Satz „den japanischen Frauen ist es peinlich“ auch aus sehr deutscher Perspektive gedacht – unter Umständen möchten sie einfach nur aus Respekt und Höflichkeit ihren Mitmenschen derartige Geräusche nicht zumuten.


Die japanische Kultur ist voller Fettnäpfchen für Landesfremde. Also, richtig voll. Nach „Guten Tag“ und „Danke“ (in höflicher Form) ist das nächst-wichtige Wort definitiv „Entschuldigung!“. Vermutlich habe ich das bisher am öftesten gebraucht. Entweder das oder Danke. Es gibt so viele gesellschaftliche Normen, offenbar, und es ist sehr einfach, unhöflich zu sein, selbst wenn man das gar nicht vorhatte. Deutschland ist ja im internationalen Vergleich auch nicht so schlecht dabei, was Höflichkeit und „public shame“ betrifft – ich hatte irgendwie gedacht, dass viele Deutsche deshalb respektvoll, höflich und regelkonform leben, weil sie Angst davor haben, was andere über sie denken. Und ich hatte gehofft, dass es in Japan andersrum ist: Dass Japaner respektvoll, höflich und regelkonform leben, weil sie andere Menschen einfach aus ganzem Herzen lieben und respektieren. Also, Liebe statt Furcht als Basis für höfliches Verhalten. Bisher konnte ich das Motiv für die unermessliche Höflichkeit der kleinen Leute (noch?) nicht herausfinden – aber höflich sind sie, unglaublich höflich! Sorry für die „kleinen Leute“ – ich versuche nur zu kompensieren, dass ich mir in diesem Land zu groß, zu dick und zu europäisch vorkomme. Man sieht wirklich nicht sooo viele nicht-asiatisch-aussehende Menschen. Außer manchmal an den Touristenattraktionen, wo sie aus den Reisebussen gekippt und später wieder fein säuberlich eingesammelt werden. Apropos: Japaner sind nicht nur höflich, sondern auch unglaublich sauber. Nirgendwo findet man Müll, aber auch nirgendwo Mülleimer! Jeder nimmt allen Müll, den er mitgebracht hat, einfach super-ordentlich wieder mit nach Hause, um ihn dort in die entsprechenden 10 Mülltrennungscontainer zu entsorgen. Selbst Plastikflaschen sollten (unter gewissen Umständen) von ihren Deckeln getrennt werden. Übrigens sind nicht nur die Leute klein. Genau genommen ist fast alles sehr klein. Die Leute, also auch die Kleider, Schuhe, Zimmer/Wohnungen, die Straßen, demzufolge auch die Autos und Garagen (alter Schwede! Hätte ich ein Auto, hätte das sicher keine Rückspiegel (mehr)!), mein Fahrrad, mit dem ich unterwegs bin (ich hebe beim Fahren die Ellenbogen hoch, damit ich nicht mit den Knien dagegen trete), und, zu meinem großen Leidwesen, auch die Türrahmen. Laszlo passt noch aufrecht durch, ich nicht. Gestern habe ich mir bestimmt fünfmal richtig den Kopf angehauen. Heute bislang nur zweimal, davon war einmal aber richtig dolle. Unser japanischer Gastgeber findet das erheiternd, glaube ich. Ich kann es ihm nicht verdenken – es ist erheiternd… zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es nicht nur Türrahmen sind (da denke ich ja meistens noch dran), sondern auch einfach nur Balken, die mitten durch den Raum gehen. Und weil der Raum nicht sehr groß ist und in der Mitte der Esstisch steht (traditionell japanisch sehr niedrig, man sitzt auf Kissen drum herum, nicht auf Stühlen), muss man zum Navigieren tendenziell nach unten schauen und vergisst die Gefahr von oben! Angeblich sind die „modernen“ Häuser höher gebaut, aber wir wohnen in einem traditionellen japanischen Haus und damals gab es glaub noch keinen europäischen Einfluss. Niemand war höher als 1,73m. Behaupte ich. Anhand der Balken und Türrahmen.


"Unsere" Straße: Eine ganz normale Wohnhaus-Straße in Kyoto

Es gibt auch Dinge, die sind nicht so klein in Japan. Zum Beispiel die Bettdecken. Hallelujah. Ich verstehe auch wieso, denn nachts ist es eise-schweinekalt. Diese dünnen (traditionellen) Schiebetüren dichten halt einfach mal nicht richtig ab. Und Heizung gibt es nur im Hauptraum. „Früher“ gab es wohl gar keine und nicht mal ne warme Dusche, die meisten Familien gingen zum Waschen ins public bath / öffentliche Bad und wickelten sich dann zu Hause in ihre riesigen Bettdecken ein, um nicht zu erfrieren. Das tu ich nachts übrigens auch. Wir schlafen auf Futons und Reiskissen, extrem viel härter als alles, was ich gewöhnt bin – eigentlich fühlt es sich an wie auf Holz schlafen. Sehr gewöhnungsbedürftig, insbesondere mit Jetlag, wenn man nachts um fünf aufwacht und einfach nicht mehr einschlafen kann, dann aber um acht Uhr morgens am liebsten für ewig ins Bett gehen würde… aber das wird sich schnell legen. Ich schätze, die Hüfte gewöhnt sich dran. Also ans harte Bett, nicht an den Jetlag.


Wir sind in Kyoto praktisch die ganze Zeit mit den Rädern unterwegs, was superpraktisch ist. Regeln habe ich noch keine erkannt. In Berlin, soviel steht fest, wäre ich bereits tot. Aber die japanische Höflichkeit spiegelt sich auch im Straßenverkehr wieder – jeder ist so unfassbar rücksichtsvoll, wartet geduldig, stoppt für alles und jeden, ohne sonderlich erkenntliche Regeln (abgesehen natürlich von der (theoretischen) Existenz von Linksfahrgebot und Ampeln). Wenn man nach dem geht, was sich beobachten lässt, gilt die Regel: Schwächere vor Stärkeren. Fußgänger vor Radfahrern vor Autofahrern. Was bedeutet, je „größer“ man unterwegs ist, desto länger muss man auf alles und jeden warten. Aber Warten scheint kein Problem zu sein. Wenn eine Menschengruppe den ganzen Fußweg (sofern es einen Fußweg gibt, die ganzen kleinen Straßen haben gar keinen) versperrt und es kommt ein Radfahrer an, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Radfahrer abbremst und wortlos geduldig vor/hinter der Gruppe steht, bis diese sich dazu bewegt, den Weg freizumachen. Dann wird der Radfahrer sich vermutlich noch überschwänglich mit hektischen Verbeugungen bedanken, bevor er seinen Weg fortsetzt. 

Sogar die Zäune sind süß - wo in Deutschland monströse Drahtgitterzäune errichtet werden, sieht man in Kyoto Kaninchen...
...und Frösche :D


Dasselbe ist uns im Supermarkt beim Food-Shoppen passiert: Wir versperrten (unabsichtlich, natürlich) den Ausgang für eine junge Frau, während Laszlo und Viki diskutierten, was das für ein seltsames Gemüse ist, aus dem die Chips gemacht wurden. Die junge Dame suchte unterdessen wortlos lächelnd nach einer Lücke, durch die sie vielleicht nach draußen gelingen könnte. Sie fand keine, was mir dann auch klar wurde – perspektivisch war das nicht so ersichtlich – also trat ich mit dem Einkaufswagen zur Seite, um sie durchzulassen. Sie schenkte mir ihr schönstes Lächeln und verbeugte sich doppelt vor mir. Das ist einfach so unglaublich süß. 
Stundenlanges Stillsitzen für ein Hochzeitsfoto... und trotzdem süß :D
 Alles ist sooo süß. Man kann sich das echt nicht vorstellen. Die Leute auf den Straßen sind supersüß, die Mädchen in ihren Schuluniformen, die Kleinkinder sowieso (Sweetness Overload!!!), die alten Menschen, einfach der ganze Umgang miteinander, die Verkäuferinnen in den Läden, die dir beim Eintreten mit ihren zuckersüßen Stimmen entgegenrufen, wie dankbar sie sind, dass du in ihren Shop kommst (das ist alles, was ich verstehe – remember: Danke!), ja sogar junge Männer, die auf den Straßen spielen. Es geht ja grundsätzlich ums Spielen hier – diese uralten Kaugummiautomaten, die es während meiner Kindheit noch an vielen Ecken gab (remember: Man wirft eine Mark rein oder so und dreht an einer Kurbel und unten kommt ein halbtransparenter Plastikball mit irgendwas drin heraus) – ja genau diese Dinger haben hier Hochkunjunktur. Sie stehen in Armeen, 20, 30 Stück, überall, zum Beispiel wenn man das japanische Äquivalent zu Mediamarkt verlässt oder auch einfach nur so in der Fußgängerzone.
Spieleparadies: Alles blinkt, macht Krach und quasselt
Oder auch diese Greifarmdinger (wirf eine Münze ein und versuche mit einem Hebel einen Greifarm dazu zu bringen, ein quietschbuntes kitschiges Kuscheltier zu angeln, das mit ziemlicher Sicherheit auf halbem Weg wieder aus der Zange fällt, sofern du es überhaupt erwischst). Und dann gibt es noch viele Spiele, die ich nicht durchschaue (Trommel mal langsam und mal ganz schnell auf eine Trommel und schaue dabei auf einen Bildschirm, wo lustige Äffchen tanzen). 

Wir hatten in den ersten Tagen den riesigen Vorteil, dass Laszlos Tochter Viki uns durch Kyoto führen konnte und uns beim Shoppen alles übersetzt hat, sodass wir z.B. fischfreie Sojasoße und ordentliches Öl sowie Gemüse aus nicht-radioaktiven Gegenden Japans kaufen konnten. Und sie hat uns vegane Restaurants gezeigt (daher der vegane Burger!). Außerdem kennt sie sich super aus in Kyoto und wir konnten auf den Rädern einfach hinter ihr her flitzen. Das wird bald etwas komplizierter, weil sie ab Samstag für eine Weile nicht da ist und wir uns dann ganz allein orientieren müssen. Wir werden sehen, wie das klappt! :D

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