Freitag, 23. November 2012

Eskimorolle mit Rochen



Die Zeit hier vergeht wie im Flug. Auch wenn ich praktisch jeden Atemzug genieße, müssen wir morgen früh schon abreisen… schade, schade! Diese Insel ist einmalig, der reinste Seelenbalsam, und mit dem Ozean zu leben ist wundervoll. Manchmal kommen sogar Orcas in die Bucht der Insel, um die Rochen zu jagen, die hier im seichten Wasser herumdümpeln. Und abends hört man zur Zeit immer die blauen Pinguine schreien, die sich draußen vor der Küste versammeln, um gemeinsam weiterzuziehen. Gemischt natürlich mit dem immerwährenden Geschrei der Wakas und Papageien und sonstiger tropisch klingender Vögel. Das ergibt einen herrlichen Klangteppich, am intensivsten dann hörbar, wenn gerade die ersten Sterne aufgehen und die Nacht ganz rein und klar und still ist. Wundervoll. 

Die Arbeit, die ich hier verrichte, ist nach wie vor genießbar. Sehr abwechslungsreich, und das Beste ist, ich kann mich selbst organisieren und weder Helen noch Dave sitzen einem die ganze Zeit im Nacken. So sollte das sein, finde ich; geht natürlich nur, wenn man den helpxern entsprechend vertrauen kann, dass sie selbstständig arbeiten, aber offenbar genüge ich den Ansprüchen ;) Mein Lieblingsjob (neben den Malerarbeiten): Austern klopfen! Die Pfähle an dem Bootsanlegesteg, der hinaus aufs Wasser führt, sind über und über mit Austern bewuchert, und einmal im Jahr muss man sie abklopfen, weil sie sonst das Holz zu sehr angreifen. Problem dabei: Das geht natürlich nur, wenn absolute Ebbe ist… also stapfen wir bei Ebbe hinaus zum Steg, was sich schon mal als sehr schwierig gestaltet, weil der Matsch wie Treibsand alles einsaugt, was ihn berührt. Es ist also nicht ganz einfach, die Gummistiefel wieder mit aus dem Schlamm zu ziehen. Und dann wird losgeklopft – mit Schaufeln, immer drauf auf die kleinen armen Austern. Manche wehren sich und explodieren spritzend, sodass nach kurzer Zeit meine Kleider und mein Gesicht voll Austern- und Salzschlabber sind. Andere kapitulieren jämmerlich, zucken in ihrem gelblichen Schleim vor sich hin. Ich frage mich, wer der Menschheit weisgemacht hat, dass das eine Delikatesse sein soll… wir klopfen das Zeug hier in „unreifem“ Zustand kiloweise von morschem Holz ab! Die Möwen freuen sich natürlich, stürzen sich kreischend auf das Festmahl. So viel Auster, und dann auch noch ohne irgendetwas dafür zu tun, kriegen die wohl selten. Als wir fertig sind – gerade rechtzeitig, die Flut immer auf den Fersen – schauen wir außer Atem auf das vollbrachte Werk. Die Teile der Stegfüße, die noch zu sehen sind, sind astrein ent-austert; und auf dem Steg liegen geschätzte dreißig vollgefressene Möwen, die sich nicht mehr bewegen können! Hahaha :D 



Eigentlich hatte das doch ganz gut geklappt mit dem Kajak...
Heute, am letzten Tag hier, schaffe ich es natürlich noch, eine Kathi-würdige Aktion zu starten. Weil Laszlo seinen Bart trimmen will und ich aber unbedingt die wenige übriggebliebene Zeit zum Kajakfahren nutzen mag, stapfe ich allein runter zum Bootshaus, packe mir ein Paddel und eine Schwimmweste (Laszlo sagt, das braucht er nicht, aber ich finde sie praktisch und wärmen tun sie auch noch) und laufe hinaus auf den Bootssteg, wo unsere Kajaks warten. Helen ist heute Gastgeberin des Kawau-Buchclubs – alle Frauen von Kawau Island, das sind so in etwa zehn, treffen sich irgendwo und tratschen einen Nachmittag lang über das Wichtigste in ihrem Leben, nämlich die Bücher, die sie gerade lesen ;) Ich stapfe vorbei, grüße freundlich und lasse mich auf keine Gespräche ein *g* Bei den Kajaks angelangt, hieve ich meins ins Wasser – habe das noch nie ganz allein gemacht, bisher hat Laszlo immer beim Einsteigen assistiert – und kraxle ins Boot. Das ist ein ziemlicher Gleichgewichtsakt, aber schlau wie ich bin, halte ich mich an einem Brett fest – das nur auf einer Seite festgeschraubt ist, wie ich in der Sekunde feststelle, die mir bleibt, ehe ich mitsamt dem Kajak eine Eskimorolle mache. Eine halbe natürlich nur. GLUCK! Eine weitere Sekunde lang schreit mein Körper: DU STIRBST!, dann stelle ich aber fest, dass die Schwimmweste gute Dienste leistet – flupp, schiebt sie mich an meinem umgedrehten Kajak vorbei an die Wasseroberfläche. Ich kanns nicht fassen, schaue mich um, ob irgendjemand mir zusieht, aber weit und breit kein Mensch zu sehen. Also genug Privatsphäre, um erst mal loszulachen, während ich wie ein Korken auf dem pazifischen Ozean treibe. Ich lache, bis ich feststelle, dass mein Kajak imstande ist, komplett zu versinken – was weiter nicht so tragisch wäre, da gerade Flut ist und man es bei Ebbe wahrscheinlich problemlos bergen könnte – aber natürlich will ich nicht, dass diese Aktion offiziell wird! Also schwimme ich in Kleidern, mit Schuhen und allem, um den Bootssteg herum… interessantes Gefühl, aber eigentlich sehr angenehm… ich überlege, ob ich noch eine Runde schwimmen soll, denn so kalt ist das Wasser jetzt gar nicht mehr… und dank der Schwimmweste geht es auch mit Schuhen, Trekkinghose, Tops, T-Shirt und Fleecejacke ganz gut… aber ich will ja mein Kajak bergen! Also kraxle ich an Land und verbringe geschätzte zehn Minuten damit, zu versuchen, das versinkende Plastikding zu retten, was sich als extrem schwierig gestaltet. Ich weiß nicht, wie viele Liter Wasser da reinpassen, aber ohne Wasser war es leichter! Letztendlich schaffe ich es dann doch, kippe es aus… und lasse es wieder zu Wasser. Wäre doch gelacht. Wenn man beim Reiten runterfällt, soll man auch gleich wieder aufsteigen. Also mache ich das. Diesmal halte ich mich an einem festgenagelten Brett fest, und siehe da, ich gleite anmutig in mein Boot und kann lospaddeln. Eigentlich ist das keine so gute Idee, weil ich bis auf die Unterwäsche durchnässt bin, aber ich will auch nicht gleich wieder aussteigen und an Helens Buchclub vorbeilatschen, tropfend nass (ich bin mir schon bewusst, dass ich unter meiner beigen Trekkinghose eine schwarze Unterhose trage) und erklären, dass ich heute nur Lust auf fünf Minuten Kajakfahren hatte und lieber schwimmen gegangen bin. :D 

Nach ein paar Minuten Paddeln im zugegebenermaßen recht kalten Wind erwischt mich aber Laszlo, der auf dem Balkon oben sitzt, die Situation irgendwie durchschaut und beschließt, dass ich sofort zum Anlegesteg zurückpaddeln und anschließend heiß duschen muss. Ich vermute, dass er Recht hat; außerdem stelle ich fest, dass ich mir den Arm aufgeschnitten habe – das hatte ich bisher gar nicht gemerkt. Also paddle ich zurück, klettere aus dem Kajak und stapfe tropfend und in betont unauffällig-lässigem Gang an Helens Buchclub vorbei, ohne einen Blick hinüber zu werfen; in der Hoffnung, sie bemerken mich gar nicht… äh Helen, ich hätte da noch ein bisschen mehr Wäsche zu waschen, jaaah, hab sie schon mal vorgewaschen, sie war so dreckig… :P

Aber hey, mein erstes Mal Schwimmen im pazifischen Ozean UND mein erstes Mal Schwimmen mit Kleidern inklusive Schuhen! 

Living on an Island



Ich bin ein bisschen – bisschen – traurig, dass heute schon unser letzter Tag bei Gail und David ist, weil ich es unglaublich genossen habe hier. Gail ist so unheimlich herzlich, gutmütig und offen, dass ich sie ganz schnell in mein Herz geschlossen habe, und David tut alles dafür, dass seine Travellers so viel wie möglich von seinem wunderschönen Land, der Maori-Kultur und ihrem Aufenthalt hier mitbekommen. Ich liebe es hier! Wirklich!
An unserem letzten Arbeitstag legen wir uns nochmal schön ins Zeug, wir trimmen immer noch den Rasen im Hof und in der Auffahrt zur Kneipe, und das ist schon ein Knochenjob, aber irgendwie beflügelt mich die Aussicht, dass das das letzte Mal ist. Da wächst schon der Ehrgeiz, ein besonders schönes Resultat zu hinterlassen. Für mich macht es immer einen immensen Unterschied, ob ich einfach nur einen Job erledige, oder ob ich es für jemanden mache, der mir ans Herz gewachsen ist. Zudem scheint die Sonne ganz wunderbar – allerdings nie durchgehend, sondern immer mal wieder mit kurzem Wolkenaufkommen, heftigem Wind und ein paar Regentropfen. Aber man gewöhnt sich an dieses Mischmasch-Wetter. Wenn die Wolken mal beiseite geschoben sind, bekommt man dafür innerhalb von dreißig Minuten eine ganz nette Farbe ;)
Wir beschließen, für David und Gail ein besonderes Geschenk zu hinterlassen, und geben uns große Mühe, in den Rasen vor der Garage ein Herz zu trimmen. Zugegebenermaßen sieht es am Ende ziemlich gut aus, und als wir es später unseren Hosts zeigen, freuen sie sich unheimlich. Das wird das neue Wahrzeichen der Taheke Taverne! Kommt zur Taheke Taverne und besiegelt eure Liebe bei einem Glas Bier auf diesem Herz, oder stellt euch auf dieses Herz und trinkt ein Bier auf Ex und ihr werdet demnächst eure große Liebe treffen… haha :D David und Gail lieben es.
Den Mittag verbringen wir hauptsächlich mit Schlafen, Sonnen, Lesen, Reden und Essen. Gail hat mal wieder herrlich gekocht, es gibt Bacon-Onion-Cheese-Tomato-Sandwiches mit Sweet Thai Sauce oder wahlweise die Überreste von gestern Abend (David hat uns ein super Steak mit verschiedenen Gemüsesorten und Zwiebeln serviert und jetzt das Gemüse püriert und zu Burgern gepanscht). Das Essen hier war/ist genauso köstlich wie die Leute. Naja. Blöder Vergleich, ich weiß. Aber jeden Tag gab es wirklich frisches, restaurantfähiges Essen, dazu immer Massen an Obst und Gemüse greifbar, und zu einer Mahlzeit wurden meistens viele verschiedene Dinge gleichzeitig gekocht, sodass man sich durchprobieren konnte. Ich habe hier sogar „Pippies“ gekostet, das sind ganz frische, kleine, salzige Muscheln, die die Maori essen wie Popcorn und die in der Tat ganz lecker sind, auch wenn der Sand ein bisschen zwischen den Zähnen knirscht. Zum Abendessen gibt es Nudel-Bacon-Käseauflauf (herrlich), dazu einen frischen grünen Salat mit Karottenraspeln und Tomatenstückchen und einen gemischten Krautsalat mit Mayo. Mannomann... Ich hab noch nie in meinem Leben so viel und so gerne gegessen! Zum Frühstück gibt es übrigens (für mich) immer Rolled Oats, das sind ganz feine Haferflocken in Milch, die ich mir in der Mikrowelle  in Milch aufkoche und dann Apfel, Kiwi, Banane und Orange reinschnippele... ich könnte aber auch Vollkorn- oder Weißmehltoast mit Butter, Peanut Butter, Plum Jam, Käse, Bacon oder sonstwas essen... also auch hier: Herrlich!

Nach dem Abendessen überspielt David mir eine Menge Maori-Musik auf meine Festplatte. Heute Abend findet in der Taheke Taverne der große Quiz- und Karaoke-Abend statt, einige Leute werden erwartet, und David schlägt vor, mir ein Moko zu malen. Das ist eine traditionelle Gesichtsbemalung der Maori (eigentlich wird sie tätowiert, aber man muss es ja nicht gleich übertreiben) und ich freue mich schon, ein Foto zu machen und damit auf Facebook anzugeben, aber daraus wird dann doch nichts, weil ich zu lange beim Duschen brauche, und als ich in den Pub komme, ist das Quiz schon in vollem Gange. Anyway, es macht Spaß, mit den Locals zu tratschen und zu raten (auch wenn ich NICHTS weiß; viele Fragen sind neuseeland-spezifisch), und am Ende gewinnt meine Gruppe sogar, haha :D
Ich bekomme Freibier ohne Ende und erfreue mich sehr an dem Karaoke-Schauspiel, das nun beginnt. Erstaunlicherweise sind die Farmer und Farmerinnen, die hier in Gummistiefeln und schweren Lederwesten einlaufen, total talentiert! So gestaltet sich das Ganze als eine Art Konzert, die Atmosphäre ist herrlich, alle tanzen, singen, lachen, applaudieren, und ein Schellenring sowie ein chinesisches Rasselei und eine Mundharmonika machen immer wieder die Runde, sodass jeder, der Lust hat, mit-musizieren kann. Die Leute sind verrückt, also einige zumindest! Gegen später spiele ich mal wieder Laszlos Spiel (breaking barriers) und gehe mit Ingrid, einer vollkommen verrückten, ursprünglich schwedischen Neuseeländerin auf die Bühne, um gemeinsam „Hey Jude“ zu performen. Hahaha :D Gegen zwölf, halb eins laufen dann noch einige waschechte Maoris ein, die von den Wohnwägen am Hang kommen. Sie tragen verrückte Mäntel, Leggins und keine Schuhe und tanzen und singen wie die Wilden. Ich bin ganz gefangen von dem herrlichen Schauspiel, wie die Maori-Frauen tanzen können, alle ein bisschen voluminös, exotisch und strahlend elegant. Ihr Tanz hat einen stark polynesischen Einschlag, ich könnte mir gut Hawaii-Röckchen und Muscheln an ihnen vorstellen ;)

Wir gehen irgendwann um halb drei ins Bett und stellen den Wecker auf fünf Uhr, weil wir um sieben losfahren wollen und noch packen und frühstücken wollen. David wird uns nach Kaikohe fahren, wir wollen versuchen nach Warkworth zu hitchhiken. Also wieder Richtung Süden. Dort will uns um drei Uhr Helen abholen, sie betreibt mit ihrem Partner Dave die Kawau Lodge auf Kawau Island, und da haben wir uns für die kommenden zehn Tage als helpxer eingebucht. Die Kawau Lodge ist ein Vier-Sterne-Hotel und Kawau Island eine sehr unbekannte, untouristische Insel, die kaum jemand kennt. Dort gibt es keine Straßen, man bewegt sich nur per Boot fort, und alles ist in Privatbesitz. Ich freue mich sehr! Aber erst mal müssen wir nach Warkworth kommen. Mein erstes Mal per Anhalter! Ich bin aber überhaupt nicht aufgeregt, sondern genieße ein tiefes Gefühl der Gewissheit, dass alles gutgehen wird. Das Schicksal meint es gut mit mir ab jetzt! Da bin ich mir sicher. Wenn nicht jeden Tag in deinem Leben kleine Wunder passieren, dann stimmt was nicht mit deinem Leben.
Wir verabschieden uns von David und Gail mit tausend Küsschen und Umarmungen und versichern, dass wir jederzeit gerne zurückkommen würden und das vielleicht auch tun werden. Gail würde uns gerne wiederhaben, glaube ich. Laszlo ist ihr  „women whisperer“ (sehr witzige Bezeichnung, finde ich). Ich hatte glaube ich schon erwähnt, dass er faszinierende Workshops für Frauen gibt; auf der ganzen Welt, Südafrika, Japan, Australien, wo immer er landet, und jetzt will er versuchen, auch in Neuseeland damit Geld zu verdienen. Ich bin davon überzeugt, dass das klappt. Gail hat ihm ihre Taverne für einen Workshop angeboten, das heißt, wenn das Schicksal nichts anderes plant, können wir jederzeit nach Taheke zurückkommen und Laszlo kann einen Workshop abhalten. Gut, dass unser Herz dort an uns erinnern wird ;)

In Kaikohe setzt uns David am Straßenrand ab, mit all unseren Koffern und Rucksäcken und einem kleinen Pappschild mit „Warkworth“ drauf. David spekuliert, dass wir so 4-5 Rides brauchen werden, bis wir in Warkworth sind. Wir haben ziemlich viel Gepäck, das könnte vielleicht ein Hinderungsgrund sein, uns mitzunehmen. Aber wir haben auch viel Zeit, es ist halb acht, als wir anfangen zu hitchhiken, und um drei müssen wir erst in Warkworth sein. Um fünf nach halb acht hält eine freundlich lächelnde Maori-Dame mit großem, geräumigem Wagen neben uns – ich glaube, das war das fünfte Auto, das vorbeigefahren ist – packt uns ein und verkündet, dass sie uns direkt bis nach Warkworth mitnehmen kann. So muss das laufen! Ist das nicht ein Zeichen, dass ich alles richtig mache, wenn sich eins zum anderen fügt? Wir lassen uns also luxuriös nach Warkworth kutschieren, knappe drei Stunden, und können sogar ein bisschen Schlaf reinholen (die Lady meinte zu mir: „It’s quite bumpy at the back there, isn’t it? I try to drive extra-carefully over the bumps so that you don’t get too disturbed“ – mal wieder ein Beispiel für die krasse Freundlichkeit der Kiwis!)
In Warkworth müssen wir mit unserem Gepäck nur ca. zehn Minuten laufen, um am Infozentrum anzukommen, wo wir uns um drei mit Helen treffen wollen. Wir dürfen unser Gepäck gegen eine kleine Spende dort lassen – es ist erst elf Uhr – und tigern los, um Warkworth zu erkunden. Herrlich. Wir durchstöbern Supermärkte, kaufen eine Zartbitterschokolade, vier Bananen und einen Liter Sojamilch und setzen uns nach einigen Stunden Fußmarsch am Ufer des Flusses auf eine Bank, die nur auf uns gewartet hat, um zwischen den Enten und Möwen und Kaimaranen unser ausgefallenes Mahl zu schlemmen. Danach verfalle ich dem Schlafmangel und ratze mit dem Kopf auf dem Holztisch weg, während Laszlo sich mit einem Vogel unterhält, der offensichtlich großen Gefallen an seinem Pfeifen findet... mir egal, ich schlafe… ;)
Warkworth ist ein nettes Städtchen, sehr sauber, sehr ordentlich, gut strukturiert, mit Spazierwegen und Sitzgelegenheiten im Grünen und allerlei Shops. Um drei sind wir wieder am Informationszentrum und treffen Helen, die auf den ersten Blick einen sehr liebenswerten Eindruck macht. Eine lebendige Frau mit leuchtenden Augen, die weiß, was sie will. Sie fährt uns und unser Gepäck zum Kawau Harbour, wo wir alles umpacken auf das „Taxi“, das uns zur Insel bringen wird – Daves Boot „Dolly“, mit der er ein Wassertaxiunternehmen führt. Viele Häuser auf Kawau Island sind nur Wochendhäuschen, und jemand muss die Kiwis ja vom Festland zur Insel bringen und wieder zurück... this would be Dave!

Ich schwelge in innerlicher Ekstase, als „Dolly“ aus dem Hafen gleitet (es ist gerade Ebbe, deshalb muss im Hafenbereich sehr langsam und vorsichtig gefahren werden, um nicht aufzusetzen). Als wir die offene See erreichen, gibt Dolly Gas und ich muss mir einfach wie in einem billigen Kitschfilm das Haargummi aus dem Haar reißen und die Nase in den Wind halten! Hurray! Ich kann noch nicht glauben, dass das gerade alles passiert.
...mit Dolly nach Kawau Island - yippie! :)

Dave, Dollys Kapitän und unser Host für die nächsten 10 Tage, begrüßt uns ebenfalls herzlich. Er ist auf seinem Boot hinterm Steuer zu Hause, das merkt man sofort. Auch seine Augen leuchten hinter seinen buschigen Seemanns-Augenbrauen, als er erklärt, wie die Insel aufgebaut ist, wie wir jetzt fahren werden (gute zehn Meilen bis Kawau Island, das sind etwa 20 Minuten mit Dolly), wie die Insel aufgebaut ist, wo wir in den nächsten Tagen Kajakfahren können und an welche einsamen Privatstrände wir laufen können, wenn wir wollen (Straßen gibt es ja keine).
Welcome to Kawau Lodge...
Nach 20 Minuten legen wir am Kawau Lodge Steg an, und mir verschlägt es die Sprache, und den Atem, und einfach alles. Die Reinheit, die pure, klare Energie der Insel durchflutet einen wie ein einziger Glücksstrom. Schwer mit Worten zu beschreiben. Das Gepäck wird mit einem Lastenzug hinauf zur Lodge gefahren, wir laufen Holztreppen hinauf durch prächtige, wildromantische Blüten in glühendem Rot, Orange und Pink, umgeben von tropischem Vogelgezwitscher und dem herrlichen Duft nach Salz und Fisch und Meer und Freiheit. Die Luft ist so klar, dass sie den ganzen Körper wie weißes Licht erfüllt. Die Lodge ist wundervoll, wundervoll, wundervoll, Holz, runde Steine, Glaskugeln, Fischernetze, Muscheln, Wände in Türkis und Pistazie, alles atmet, ist harmonisch, friedlich, frisch. Man spürt förmlich, wie die reine Energie der Insel durch diesen Ort fließt, und das Erste, was ich tue, ist, mich auf unsere Holzterrasse zu setzen und eine halbe Stunde lang in der unglaublichen Atmosphäre zu baden. Direkt unter unserer Terrasse ist das Meer, bzw. im Moment noch Schlamm, aber die Flut schiebt sich langsam ins Land und füllt die Bucht mit türkisgrünem Leben. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Hügel voller Märchenbäume, knorrig, verwachsen, mit petersilienartigen Kronen, denen man förmlich beim Atmen zusehen kann. Das Wetter ist so lala, es nieselt, regnet, manchmal hört es für eine Weile auf, aber das tut der Stimmung keinen Abbruch, im Gegenteil. Die Meeresluft wird nur noch klarer dadurch. Unser Zimmer ist kein helpxer-Zimmer, sondern ein ganz normales Vier-Sterne-Zimmer der Lodge, mit eigenem Luxusbad und Dusche und allem; ich kann nicht glauben, was hier grade passiert und dass ich hier bin. Laszlo sagt, wenn du dein Leben richtig führst, wird dir so etwas ständig passieren – alles fügt sich ineinander, und alles wird perfekt. Alles wird perfekt. Casper hatte also doch Recht. 

Schwelgen im Luxus (inklusive Zartbitterschokolade!)
Zur Krönung dieser ohnehin schon atemberaubenden – unwirklichen – Atmosphäre legt Laszlo noch eine CD mit durchgemixter, teilweise meditativer Musik ein und kocht mir (mit unserem selbstverständlich auf dem Zimmer vorhandenen Wasserkocher) einen Zitronen-Ingwer-Tee. Dazu gibt’s ein Stückchen Zartbitterschokolade und zwei Kekse aus unserer (selbstverständlich auf dem Zimmer vorhandenen und gut gefüllten) Keksdose. Außerdem gibt es hier Bücher, zwei Sekt- und Weingläser, alles, was man braucht, um Tee oder Kaffee zu kochen, einen Fön, eine Wärmflasche (hurra!!!), verschiedene Seifen mit Muscheln drin, Cremes, herrliche sandfarbene Handtücher... ich kann mich nicht irren, ich bin im Paradies. Ich bin einfach nur im Paradies.










...allein die Tatsache, dass ich kaum noch zum Blogschreiben komme, zeigt, wie wertvoll die Zeit hier ist, aber jetzt habe ich ein paar Minuten freigewischt, um euch auf den aktuellen Stand zu bringen.
Diese Insel ist nach wie vor ein Traum. Die Arbeit ist nicht besonders schwer, hauptsächlich Gartenarbeit und Malerarbeiten, und unsere Hosts sind unglaublich lieb. Eigentlich fühle ich mich nicht wie ein Familienmitglied bzw. ein helpxer, sondern wie ein Gast, denn wir werden hier abgesehen vom Frühstück stets wie Gäste bedient. Helen serviert täglich das beste Essen, erledigt ihre Koch- und Küchenarbeiten stets selbst (nicht wie bei den bisherigen Hosts, die für uns kochten und wir haben dann die Küche aufgeräumt und gespült etc. – hier gibt es sogar eine Spülmaschine) und ist sehr, sehr bemüht um unser Wohlbefinden. 

Bäume, bei denen man sich so richtig "zu Hause" fühlt...

Einmalige Vegetation: Massenhaft weiße Lilien, Palmen, Farne und knorrige Märchenbäume
Unter anderem haben wir bereits eine superschöne Tour über die Insel gemacht, zu Fuß, nach Helens selbstgeschriebener Wegbeschreibung zur Rocky Bay, einer wunderschönen Bucht am westlichsten Zipfel der Nordküste der Insel, wo Tausende von Albatrossen wohnen. Zerklüftete Felsen, auf denen man rumklettern kann, weicher Sand und viele knorrige Bäume, dazu das herrlich türkisblaue Wasser. 
Rocky Bay

Wenn nicht hier, wo dann? ;)
Ausblick aus meinem Fenster bei Fast-Ebbe
Das Meer hier ist selbstverständlich omnipräsent (klar, weil Insel und so...) und es ist wunderbar, mit dem Ozean zu leben! Die Luft ist kristallklar und salzhaltig, und die Energie an diesem Ort nach wie vor weiß und rein... man lebt mit den Gezeiten, Flut und Ebbe kommen und gehen täglich, und in unserer Bucht ist zur Ebbezeit tatsächlich nur Schlamm. Weiter hinten in der Bucht wachsen ein paar Bäume, die bei Flut bis zu den Kronen von Wasser bedeckt sind, und wir können jederzeit mit den Kajaks dorthin paddeln.(Wir dürfen uns hier einfach 2 Kajaks schnappen und ab dafür!) 

Einfach nur traumhaft, weil bei Flut immer sehr viele Rochen in die Bucht schwimmen, um sich im seichten, warmen Wasser zu sonnen. Also gleite ich wie in einem Regenwaldtraum in meinem kleinen Kajak durch die knorrigen Baumgipfel, durch höchstens 1-2 Meter tiefes Wasser, und unter mir zischen die Rochen umher – das ist vielleicht cool! Zugegebenermaßen ist es gewöhnungsbedürftig, über schwimmenden Rochen Kajak zu fahren; das erste Mal, als einer der wagenradgroßen Tiere auf mein Boot zugeschossen kommt, kippe ich vor Schreck beinah mein Kajak um. Passieren tut natürlich nichts, was soll das Tierchen mir auch antun ;)

Manche Rochen hier sind riesig - man beachte meinen Schatten. Das ist keine optische/perspektivische Täuschung, dieser Rochen hier ist etwa zwei Meter breit...
Die Kajaks sind hier das beste (und abgesehen von Schusters Rappen auch das einzige) Fortbewegungsmittel und es macht riesigen Spaß, die winzig kleinen Felseninseln vor der Bucht zu umpaddeln, in Höhlen zu gleiten, um Riffe herumzubrausen und einsame Strände zu finden (allerdings nur bei Ebbe), wo man dann einfach kurz anhalten, die Kajaks an Land zerren und den Picknickkorb auspacken kann.
Höhlenforschen via Kajak :)



Selbst die Arbeit macht total Spaß. Ich darf an einem abenteuerlichen Kletterhang wilden Ingwer stutzen und die beschnittenen Stumpen mit Herbiziden behandeln oder auf dem noch nicht ganz fertiggebauten Balkon auf einer Leiter balancieren, 30 Meter über dem rauschenden Meer, und die Hausfassade mit herrlichen Farben neu streichen. Helen und Dave (oder vielleicht eher Helen) haben einen exquisiten Farbgeschmack und ich liebe den Stil, in dem sie ihr Haus und ihre Gästezimmer halten. Sandfarben, Oliv, Pistazie, Türkis, Graugrün – alles herrliche Meerfarben, die zur Kulisse nicht besser passen könnten. Und natürlich arbeite ich mit ständigem Blick aufs Meer, bei atemberaubender Soundkulisse. Pagageien, wilde Vögel, Möwen und Wakas, das sind kiwiähnliche Laufvögel, die es hier auf dieser Insel gibt, liefern sich ein tropisch anmutendes Schreikonzert. Dazu das rauschende Meer. Und hin und wieder ein lautes Platsch, weil ein Fisch vor einem blitzschnell tauchenden Albatros fliehen muss. Fast täglich sehe ich Wakas, einmal sogar ein Küken, das sich anfassen lässt, und Rochen in der Bucht unten, und grellbunte Papageien, und einmal sogar einen riesigen silberblauen Fisch, der bei dem Versuch, vor einem Albatros zu fliehen, an Land springt und dort zappelnd versucht herauszufinden, was gerade passiert ist. Ehe ich in die Bredouille komme, ihn zu retten, robbt er aber selbstständig zurück ins Meer. Auch gut – keine weiteren Fischkonfrontationstherapien.

Das Essen passt zur restlichen paradiesischen Atmosphäre. Alles sehr exquisit und britisch – zum  Frühstück gibt’s Müsli, das beste, das ich je gegessen habe, mit gerösteten Sonnenblumenkernen und allerlei crunchy stuff und Kokosraspeln und Kürbiskernen und Flocken und Honigtaschen und Obstsalat und Joghurt und Milch….. zu jeder Mahlzeit wird Wasser gereicht, aber natürlich nicht einfach Wasser, sondern mit Minzblatt und Zitronenscheibchen garniertes Wasser… Helen übertrifft sich täglich neu; mal gibt es herrlich scharf gewürzte gebratene Schweinefiletstückchen auf Bohnen-Karotten-Paprika-Gemüse, mal chinesisch angehauchte Kartoffel-Bohnen-Hähnchen-Pfanne mit Rosmarin und Zitrone oder Bratwurst (Delikatess-Bratwurst natürlich) mit Rosmarin-Gemüsepfanne und Sojasprossensalat. Im Salat findet man meistens violette Blümchen oder sowas, man hat irgendwie immer das Gefühl, gerade ein Fünf-Sterne-Menü zu genießen ;)

Und unser Zimmer passt natürlich auch dazu. Ein Vier-Sterne-Gästezimmer mit pistazienfarbenen Wänden, schönen maritimen Bildern, vier farblich abgestimmten Schichten von Bettdecken, Seifen, Duschgels, Shampoos und Handlotion mit Zitronengrasduft, Handtuchwärmer, elektischem Moskito-Repellent, Wasserkocher und Wärmflasche. Ich könnte ewig so weiterleben! Fühle mich wie eine Königin ;)
Anyhow, ich werde meine Tage hier in vollen Zügen genießen, I promise!


Kawau Lodge vom Kajak aus


Glückliche Grüße von einer winzigen Insel im Ozean!

Montag, 12. November 2012

Nächste Station: Taheke



Es war an der Zeit und sicherlich eine gute Idee, die Location zu wechseln. Ich habe es genossen bei Karina und Mike, aber wie gesagt, irgendwann kehrt eben der Alltag ein und man will ja auch was sehen von Neuseeland… also so haben wir uns „weitervermitteln“ lassen in den Norden. Joseph geht zu Karinas Bruder an die Bay of Islands, der betreibt dort irgend so ein Maori-Touristendings. Und Laszlo und ich sind nach Taheke gefahren, wo Gail lebt, die zusammen mit ihrem Ehemann David eine Karaoke-Taverne betreibt. Sie haben noch einen Sohn, Eden, der ist 8 und alles andere als auf den Mund gefallen, einen Jack Russel Terrier, eine Katze und Hühner. Schon die 3stündige Autofahrt in den Norden ist super… eingekuschelt auf der Rückbank die Landschaft vorbeiziehen zu sehen, die vielen grünen Hügel… alles ist so grün und hügelig hier, und wenn man nur einen kurzen Blick auf die Landschaft wirft, könnte man meinen, man ist in irgendwo in den Alpen… aber die Vegetation ist so ganz anders. Überall Farne, Palmen und riesige weißbauschige Gräser, knorrige Bäume und unglaublich wenig Zivilisation (von der Straße natürlich abgesehen). Viele Menschen wohnen in sehr (!) einfachen Behausungen, in alten Stadtlinienbussen, Campervans oder Hütten, die aus Blech und Holz wild zusammengeschustert sind und irgendwo schaut noch ein krummer Kamin raus. 

Hundertwasser-Toilette in Kawakawa
Gail macht einen Touristen-Zwischenstopp für uns in Kawakawa, wo am gegenüberliegenden Straßenrand ein ganz wundersames Toilettenhäuschen steht. Abgesehen davon, dass es wie gerufen kommt, sieht es total irre aus, und ohne zu wissen, was ich da vor mir habe, fange ich in alter touristischer Manier an zu fotografieren… bis ich (nach Benutzung ebendieser Toilette) das Schild erblicke: „Hundertwasser“!? Hundertwasser hat diese Toilette gebaut? Ich wusste nicht, dass Hundertwasser in Neuseeland in Kawakawa gelebt und gebaut hat, aber klar, wenn man es dann weiß, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die tolle Mosaikbank am Zebrastreifen, die Toilette, die gegenüberliegende Seitenwand des Straßenshops, alles herrlich bunt und hundertwasserig designt… voll cool!







In der Nähe von Paihia setzen wir Joseph bei Karinas Bruder ab, gehen noch mit Gail zusammen in Kaikohe einkaufen, weil sie morgen ein großes Meeting in der Taverne haben, und fahren dann zur Endstation, Taheke Taverne. Sieht sehr idyllisch aus und irgendwie genauso, wie man sich ne Roadside-Taverne in Neuseeland vorstellt (also ich). 

Taheke Tavern
Der Pub ist 120 Jahre alt, das merkt man natürlich in der Küche etc., aber ich bin’s gewohnt und fühle mich gleich wie in meiner WG in Stuttgart. Auch der Hygienezustand ist ähnlich, was einen als Deutscher erst mal verwundert, wenn man bedenkt, dass das eine öffentliche Gaststätte ist – aber ganz ehrlich, das interessiert hier kein Schwein. Gail erinnert mich an diese Flappergirls aus den 20er Jahren, oder Marlene Dietrich, sehr sehr feminin und süß und unglaublich gutherzig. David hingegen ist ein echter Maori-Macho (das ist in keinster Weise negativ gemeint), und der kleine Eden lernt auch schon alles, was man als Maori so braucht. Den starren Blick, die stolze Haltung, das angeberische, aber liebenswerte Getue… und natürlich die flinke Zunge! Er rennt die ganze Zeit durchs Haus und übt für die Maori-Vorstellung in der Schule :) Ich fühle mich bei der Familie sofort willkommen und irgendwie ist es witzig, in einer Kneipe zu wohnen und zu arbeiten… abends schauen Laszlo und ich uns das bunte Treiben am Billardtisch an und werden prompt zu ein paar Partien „eingeladen“. Und zu nem Bier auch! Viele Leute hier sind ein bisschen sehr betrunken (bekifft?) und/oder kaputt, aber das ändert nichts daran, dass sie witzig sind. Wir verbringen einen sehr netten Abend mit einigen Locals, eine davon, Ingrid, würde Laszlo am liebsten sofort einen Heiratsantrag machen, und ich beweise allen, dass ich die schlechteste Poolspielerin bin, die diese Kneipe je gesehen hat ;)
David und Eden - Vater und Sohn - im einheitlichen Taheke-Tavern-T-Shirt

Gail beim Poolspiel

gemütliches Kuscheln vorm Kamin


Wir beziehen ein Gästezimmer unterm Dach, das so staubig ist, dass ich sofort allergisch reagiere… woraufhin mich Laszlo, der Gutste, eine halbe Stunde lang aussperrt und (um halb zehn Uhr abends!) alles lüftet, saugt, wischt und sogar den Teppich bewässert. Ich hab selten so einen Gentleman getroffen!

 Am nächsten Tag helfe ich hauptsächlich Gail in der Kneipe (saugen, wischen und das Essen für das große Meeting vorbereiten). Im Speisesaal sitzen 25 Leute, die wir mit Salat (herrlichem Salat!), Fish & Chips und Nachtisch versorgen, während sie irgendwelche Grundstücksthemen durchkauen. David weist mich an, zwei große Fische zu entschuppen und zu entweiden, und mir dreht sich erst mal der Magen um… ich? Fische? Äh… ich kann nicht mal am Fisch-Tiefkühlregal vorbeigehen ohne Gänsehaut zu bekommen…. Andererseits  bin ich in den letzten Tagen relativ gut geworden in der „Sportart“, die Laszlo „Breaking Barriers“ nennt. Choose to do it! Und als David bei meinem entsetzten Blick auf seine sehr freundliche und entspannte Art vorschlägt, dass wir auch gerne Laszlo fragen können ob er die Fische macht, beschließe ich – entscheide ich – es zu tun! Konfrontationstherapie. Ekel, Panik und Übelkeit einfach vorbeiziehen lassen… ich bin selbst überrascht, wie gut es klappt. Glücklicherweise habe ich für die beiden Fische jede Menge Zeit, weil David und Gail der Sitzung selbst auch beiwohnen, und so kann ich in aller Ruhe die Fische erst anschauen, dann anfassen, dann in die Hand nehmen, dann mit dem Löffel die Schuppen abschaben… anschließend das Messer am kleinen Loch am Bauch ansetzen, drücken, durchziehen bis zum Kiefer… zusehen, wie die graubraunen Gedärme herausquellen… den Löffel nehmen, das Innere ausschaben, ganz gründlich… ich mache das fast meditativ, und während ich mich überwinde, merke ich, wie stolz ich auf das bin, was ich gerade tue. Fast schwebend laufe ich mit den Fischinnereien hinaus zum Hühnerstall, klatsche das Glibberzeug auf den Boden und sehe zu, wie die vier Hühner sich dankbar darüber hermachen. Als David zurückkommt, sind die Fische perfekt entschuppt, glänzen blaugrün und sind innerlich fast wie abgeleckt ;) Ich hatte ja gehofft, jetzt lerne ich, wie man sie filetiert, aber denkste! David lobt meine Arbeit (wichtig für meine Psyche, aber innerlich habe ich mich schon selbst genug gelobt!), gibt mir ein riesiges Messer und zeigt mir, wie er den Fisch „filetiert“ (hahaha) – er schneidet ihn einfach in fünf große Stücke und wirft alles, inklusive Kopf, Gräten, Flossen etc., in seinen Kochtopf. Ich schlucke kurz und schneide den zweiten Fisch auch auseinander – einfach so! Durch die Gräten und alles! Hättet ihr das gedacht? :D
Während David seine Fischsuppe kocht, richte ich die Salatteller für das Meeting her, was großen Spaß macht. Liebevoll werden 20 Plastikteller mit Gürkchen, Tomaten, Zwiebeln, Blattsalat, geraspelter Karotte, Eiern und selbstgemachtem gemischtem Krautsalat mit Mayo bestückt. Und das Beste ist, dass wir uns an den „Resten“ bedienen dürfen, und so machen wir uns jeweils einen fetten Salatteller, ich nehme mir noch ein paar Chips (auf Fish kann ich verzichten) und setzen uns in die Sonne im Garten, die heute extra für uns herrlich scheint. Ich bin total happy, keiner meckert, alle lassen mich meinen Salat genießen, und mein kleines Stück Fish (for trying!) gebe ich der Katze, die mir beim Essen Gesellschaft leistet. Von Davids Fischsuppe probiere ich eher mal nicht, auch wenn ich überzeugt bin, dass es die beste Fischsuppe ever ist. Nie wurden Fische mit so großer mentaler Anwesenheit zubereitet! Nun ja. Nach meinem Schmaus darf ich Davids Gitarre ausprobieren (es wird immer besser!) und ich setze mich mit ihr auf die sonnige Terrasse, mit herrlichem Blick auf die umliegende Hügellandschaft, und spiele friedlich vor mich hin. Während die Sonne meine Haut streichelt und meine Augen über die herrliche Hügellandschaft streifen. Wie schön. Balsam für die Seele.

Der Maori-King in seinem Element
Vor dem Abendessen gehen wir mit David hinunter zum Fluss, um eine weitere neuseeländische (Maori-) Spezialität kennenzulernen: Whitebaiting. Whitebaits, das sind kleine weiße Fischchen (25-30 Zentimeter lang etwa) die noch ganz jung sind, praktisch grade frisch ausgebrütet, und in großen Schwärmen die Flüsse und Küsten entlang ziehen. Sie gelten in Neuseeland als absolute Delikatesse; man kriegt für 1 kg um die 500 NZD, was eine ganze Menge ist. Und man isst sie einfach so, wie sie sind, mit Augen, Innereien, allem drum und dran. Für David ist glaube ich eher die Aktivität des Fischens an sich das Ziel, denn er hat sich unten am Fluss ein nettes Plätzchen eingerichtet, mit einer Fangschleise im Fluss, die die Fische Richtung Ufer lenkt, wenn sie mit der Flut kommen. Dort wartet er dann mit seinem Netz, bis sie kommen, und fischt sie raus. Die Whitebait-Saison ist am Donnerstag zu Ende, wir haben also Glück, das noch sehen zu dürfen (sie geht laut David von Ende August bis Anfang November). Ganz stilecht bekommen wir ein eisgekühltes Bourbon&Cola-Getränk serviert und sitzen am Ufer und sehen dem Salzwasserfluss zu, wie er immer höher übers Ufer tritt, während uns die wunderbare meditative Stille Neuseelands umgibt. Vogelzwitschern, Bachgeplätscher, gute, frische Luft und dazu ein Schlückchen Whiskey mit Cola – super. Später kommt noch ein Freund von David dazu und sie rauchen zusammen und führen sehr maori-eigensinnige Gespräche. Herrlich. Es macht Spaß zuzusehen.

Dog-Whisperer ;)

Kathi unter Maori-Machos *g*

...wie man sieht, befinde ich mich in bestem Gemütszustand :)

Whitebait-Omelett nur für uns: Man beachte die Fischchen!
David fängt zwar nicht sonderlich viel, aber für ein Whitebait-Omelett reicht es (also ICH will ja eh nur einen einzigen probieren, wenn ich mich überhaupt überwinden kann!). Er wirft die zappelnden winzigen Fischchen einfach in die heiße Pfanne, röstet sie durch, haut ein Ei drüber (natürlich von eigenen Hühnern) und rührt die glibbrige Masse zu einem Omelett. „Here you go!“, kriegen wir es serviert. Ich probiere nur ein Eckchen. Um ehrlich zu sein, kann ich die Fischchen gar nicht wirklich rausschmecken, und ich beginne gerade zu denken „Ha, cool, schmeckt ja wie normales Rührei, dann kann ich ja meine Hälfte doch selber aufessen!“ als ich auf ein Auge beiße, das knackend zwischen meinen Zähnen zerplatzt. Lächelnd überreiche ich Laszlo meine angefangene Hälfte… der den Whitebait auch fast nicht aus dem Ei rausschmecken kann. Perlen vor die Säue! Aber trotzdem, wir haben Whitebait-Omelett gegessen! ;)
Fürs weitere Abendessen dürfen uns nehmen, was wir wollen, und es sind so viele leckere (frische) Sachen da, dass ich mir einfach nochmal Salat mit Feta und Toast mache. Das habe ich in Helensville doch sehr vermisst: Grünzeug! Aber hier kann ich mich daran laben, so viel ich will. Ich werde hier sicherlich zunehmen, das weiß ich jetzt schon, aber ist mir egal. Solange ich so glücklich bin, kann es mir nur recht sein, wenn es demnächst ein bisschen mehr von mir gibt *g*

Am nächsten Tag trimmen Laszlo und ich vier Stunden lang den Rasen vor der Kneipe, was tierisch anstrengend ist, weil wir nur Schaufeln haben. Das ist hier aber wohl überall so; weil die Leute meistens Helfer aus dem Ausland einspannen, ist es ihnen relativ egal, ob die Werkzeuge, die sie zur Verfügung stellen, geeignet sind oder nicht. Und Schaufeln sind eher so halb-geeignet ;) Aber was soll’s, wir machen einen guten Job, Laszlo und ich (mit Muskelkater-Effekt). Heute findet in der Taheke Taverne eine große Pool-Competition statt, Taheke gegen Kaikowe, und es sind viele Leute da, die Billard spielen und draußen auf der Terrasse rauchen uns beim Arbeiten zusehen.  Heute ist es nicht sonnig, sondern eher feuchtkühl, aber zum Schaufeln und Hacken perfekt. Als wir fertig sind mit dem heutigen Stück, hauen wir uns wieder jede Menge Salat, Tomaten und Räucherhühnchen rein… nur um dann von Gail eingeladen zu werden, die Locals zu treffen und mit ihnen Mittag zu essen. So erlebe ich also, wie die Maoris Billard spielen und Mittagessen. Es sind unglaublich einfache, fröhliche Leute, die mich da umgeben, und alles sehr faszinierende Charaktere. Jeder schnappt sich einfach einen Pappteller, schaufelt sich von der Tafel drauf was geht und setzt sich auf irgendeinen Stuhl an der Wand, um zu essen (Tische gibt es keine!). So ist der ganze Raum miteinander verbunden, jeder redet mit jedem, alle scherzen und lachen und sind fröhlich. Coole Atmosphäre! Ich bin zwar schon satt, aber ein „Fried Bread with butter“ muss ich doch probieren, weil es eine Maori-Spezialität ist (eine von vielen). Ganz lecker soweit ;) An sonstigem Essen gibt es jede Menge Eintöpfe, relativ viele, und mit viel Fleisch, Gedärm und Knochen drin, sodass das eh nicht so das Wahre für mich gewesen wäre…. Ich hätte mir dann nur wieder das Gemüse rausgepickt, wie ich das bei Karina und Mike gemacht habe ;) Aber es macht Spaß, den Locals beim Essen und anschließend beim Billard zuzusehen! Witzigerweise loben uns fast alle für unsere Arbeit, wie toll wir den Rasen getrimmt haben. Sehr nett irgendwie, da arbeitet man wenigstens nicht umsonst.

lustiges Treiben im Pub
Laszlo fand es witzig, mich mit dieser vollkommen betrunkenen Lady abzulichten :)
 
Taheke Tavern - here you'll meet really nice & happy people!

Abends machen Laszlo und ich einen Spaziergang durch die Gegend. Hier gibt es zwar auch keine wirklichen Walkways, aber dafür Kiesstraßen, die wenig befahren sind und auf denen man prima laufen kann. Puppy leistet uns Gesellschaft (Puppy ist der Jack Russel Terrier und noch relativ jung und sehr schlau!). Irgendwie haben die Tiere hier keine wirklichen Namen, der Hund (der tatsächlich noch sehr jung ist) heißt Puppy und die Katze Pussycat und die Hühner (natürlich) Chickens. Der unmittelbar umliegende Wald ist toll, und daran ändert auch die einsetzende Dunkelheit kombiniert mit Regen nichts… das macht nur die Gerüche und Geräusche in den Farnen, Märchenbäumen und Moosen interessanter! Superschön. Dazu ein gutes Gespräch – fertig ist der perfekte Spaziergang.

Am kommenden Morgen widmen wir uns wieder dem Hof bzw. dem Grasbewuchs auf dem Hof… bisschen ermüdend so langsam, und ich habe Muskelkater von gestern… aber wir müssen nur bis elf arbeiten, dann nimmt uns Gail mit auf eine Sightseeing-Tour! Wie unglaublich nett!
Sie fährt uns zum Waipoua Forest, wo der größte bekannte Kauri-Baum der Welt wächst, der Tane Mahuta. Er ist (in Maori-Sprache natürlich) nach dem gleichnamigen Gott des Waldes benannt und ungefähr 2000 Jahre alt. Für viele Maoris, auch für David, ist das ein besonders heiliger Baum, und es ist offensichtlich, warum. Als ich vor dem Giganten stehe, rund 20 Meter hoch und mit beeindruckenden 14 Metern Umfang, werde ich von seiner unglaublichen Präsenz fast weggeblasen. Er ist überwuchert mit Epiphyten (Aufsitzerpflanzen) und strahlt eine friedliche, mächtige, energiegeladene Urkraft aus, die man mit einer simplen Canon-Kamera unmöglich festhalten kann. Versucht habe ich es natürlich trotzdem. 
Tane Mahuta (leider kommt seine beeindruckende Größe auf dem Foto gar nicht rüber...)
Kathi in der Tiefe des Waipoua Forests :)
David erzählt uns Maori-Legenden, nach denen hier im Wald immer noch der Schrei des Moa gehört werden kann. Das ist bzw. war ein Laufvogel, der  nur in Neuseeland lebte und kurz nach der Ankunft der polynesischen Einwanderer im 13. Jahrhundert ausgerottet war. Weil es in Neuseeland vor Ankunft der Menschen vor 800 Jahren keine Säugetiere gab und die Vögel daher keinerlei Bedrohung ausgesetzt waren, kannten die Moas keinerlei Verteidigungsmechanismen. Füße, die nicht schnell rennen können, fast vollkommen zurückgebildete Flügel und Schnäbel, die außer Pflanzen nichts zerhacken können, sowie keinerlei Fluchtinstinkt wurden diesen Riesenvögeln zum Verhängnis. Sie waren innerhalb eines halben Jahrhunderts ausgerottet. Aber hier, am Fuße des Gott des Waldes, kann man ihre Präsenz tatsächlich fast noch spüren. Ich bin bezaubert von diesem Stückchen Wald… und kann nicht aufhören, die Bäume zu berühren, und zu versuchen, Fotos zu machen, die die Magie des Ortes aber einfach nicht so recht einfangen wollen.


Gail lädt uns anschließend in einer sehr typischen neuseeländischen Strand-Straßenbar zu Fish&Chips ein. Ich entscheide mich für Kumara-Chips (Pommes aus Süßkartoffeln, die hier bei den Maoris superbeliebt sind und die ich ja bei Karina schon pflanzen durfte) und bin mit meiner Wahl hochzufrieden! Dazu ein original neuseeländisches Zitronengetränk und zum Nachtisch ein Kokosnuss-Schokoladen-Eis – und Kathi ist wunschlos glücklich! :) 

Bar direkt am Strand
ganz netter Ausblick soweit...
happy :)