Mittwoch, 6. Februar 2013

Marlo - perfect arrangements


Der „Umzug“ von Coimadai nach Marlo verläuft relativ entspannt. Bill fährt uns morgens um kurz vor acht zur Tramhaltestelle in Diggers‘ Rest, von dort aus fahren wir bis zum Southern Cross, kaufen dort Tickets für die Weiterfahrt und Lunch (Reismilch! Mjam! Und Hafermilch, habe ich noch nie probiert, muss aber sagen: Reismilch bleibt der Favorit :) Dazu gibt‘s Reiswaffeln, Ingwerkekse und Milch, weil alles mit Brot horrend teuer ist und wir nicht so viel Geld ausgeben wollen).

Bye Bye Diggers' Rest - mit deinem sehr stylishen Post Office ;)


Dann tuckern wir dreieinhalb Stunden mit dem sogenannten „Intercity“ durch die Gegend – Gott, ist der langsam… das schlägt sogar die Deutsche Bahn… anschließend umsteigen auf einen Bus, der nochmal 1,5 Stunden fährt und in dem mir speiübel wird, weil die Straßen kurvig sind und das Ding kein Zwischengelenk hat… und dann abends um halb acht in Marlo ankommen, einem totenstillen Kaff, wo uns nur eine einzige Person begegnet, und das ist Andrew, unser Host. Er ist Fotograf, leger gekleidet und sehr nett. Er begrüßt uns freundlich und erklärt uns dann, dass er leider so viele Helpxer hat, dass er keinen Platz mehr für uns hat. Wie!? Ja, so sollte das nicht laufen, und es tut ihm auch schrecklich Leid, und er hat einen Platz für uns organisiert bei Freunden von ihm, die eine kleine Farm haben und auch manchmal Helpxer nehmen, und wenn es für uns ok ist, fährt er uns da jetzt hin… ähm, ja, wir sind gerade 12 Stunden gereist und sind müde, haben wir eine große Wahl? 

Nach meinen bisherigen Helpx-Erfahrungen kommt bei dem Wort „Farm“ nicht gerade Freude auf; „Farm“ bedeutet unlimited work, weil die Tiere morgens und abends gefüttert werden müssen und dazwischen gibt es auch immer was zu tun. Immer! Demzufolge sind Farm-Hosts meistens ein bisschen ausbeuterisch gegenüber helpxern eingestellt, wie wir jetzt mehrfach erfahren durften… nach den Hauptmottos: 1. Wenn du nicht arbeitest, kannst du gehen –ich hab immer genügend Nachschub! Und 2. Ich weiß, diese Arbeiten sind nicht nötig und auch nicht einfach, aber ich kann’s mir leisten, weil ich genug Sklaven habe. Und immer öfter auch 3.: Du brauchst ein sauberes Zimmer, ein bequemes Bett, gesundes Essen in ausreichender Menge und manchmal Pausen? Ok, then this place is not for you.


Als Andrew uns dann aber in der Hofeinfahrt abliefert und wir von einem älteren, sehr australischen und sehr freundlichen Ehepaar begrüßt werden, stelle ich erfreut fest, dass dies wirklich nur eine sehr, sehr (!) kleine Farm ist. Um nicht zu sagen, ein ganz normales Haus, die Kühe leben auf der Weide und stören niemanden und wollen auch nichts, und sonst gibt es nur noch eine Spanielhündin, weiter nichts. Und als Linda, die Ehefrau, uns dann unser Haus zeigt – ja, Haus – stelle ich mal wieder fest, dass die Dinge, die „einfach so“ geschehen, fantastisch sind :) Wir haben eine große Küche mit Sofa, Ersatzbett, Esstisch, Küchenzeile und gut gefülltem Kühlschrank, ein Badezimmer und ein großes Schlafzimmer mit gut aussehendem Bett, weißer, sauberer Bettwäsche, einer Arbeitsecke, einer Sofaecke mit HD-Fernseher und kuscheligen Decken. Und das Beste ist: Alles ist sauber! Wir freuen uns, dass wir bei Hosts gelandet sind, die offenbar zu jener Sorte gehören, die noch Respekt vor den Menschen haben, die da kommen – und nicht nur kostenlose Arbeitskräfte irgendwo „verstauen“ und benutzen. Andrew verlässt uns mit merklich schlechtem Gewissen (gut! Kann nicht schaden ;) ) und Linda und David bringen uns unser Abendessen fertig angerichtet in unser Haus. Ziemlich toller Service, muss ich sagen :)


Die Arbeit besteht bisher aus Gartenarbeit und Sturmaufräumarbeiten. Die Gegend wurde vor ein paar Monaten einen schlimmen Tornado heimgesucht und es liegen immer noch Bäume überall rum, die mit der Kettensäge zerstückelt und irgendwo aufgestapelt werden müssen, um dann zu gegebener Zeit mit einem kontrollierten (!) Feuer vernichtet zu werden. Momentan wütet nur 150km von hier ein ziemlich unkontrolliertes; aber es ist zu weit weg, um uns wirklich beunruhigen zu müssen.

An unserem ersten Nachmittag fährt David uns gleich mal an der wunderschönen Küste entlang, um uns die Salmon Rocks, Point Ricardo und das West Cape zu zeigen. Ein riesenlanger, gelblichweißer Strand mit total tollem Sand. Nicht ganz fein, sondern noch ein bisschen körnig, und gemischt aus orangenen, weißen und gelben Sandkörnchen, sodass er richtig appetitlich cremig-gelb leuchtet und beim Barfußlaufen die Füße angenehm massiert.

Auf einer kleinen Rundfahrt zeigt Dave uns die "Salmon Rocks"...
...und die sind schon ziemlich genial :)
Wir sehen Wallabies, große Graue Kängurus (die viel größer sind als die auf Kangaroo Island), Pelikane, Wild, Kaninchen und sehr viele Vögel – die Gegend ist insgesamt auch viel grüner als Coimadai, wo alles nur vertrocknet und tot war. Es gibt auch fabelhaft viele Moskitos und seltsame riesige Fliegen, die einem große Stücke aus der Haut beißen (ich spreche aus Erfahrung). Außerdem wachsen hier ganz raffinierte Bäume, die sich nur fortpflanzen, wenn ein Feuer brennt. Ich bin fasziniert, was die Natur sich da mal wieder ausgedacht hat – eine Dauerfortpflanzung wäre dumm, weil sich dann die Bäume gegenseitig das bisschen Feuchtigkeit stehlen, dass sie hier bekommen. Keine Fortpflanzung ist aber auch dumm, weil dann nach einem einzigen Feuer alle Bäume ausgerottet sind. Die Lösung: Früchte, die sich nur bei ganz hohen Temperaturgraden (Feuer!) öffnen und ihre zunächst feuerresistenten Samen in den Boden fallen lassen. Dort bleiben sie, bis es aufhört zu brennen und sie ein bisschen Feuchtigkeit abkriegen (Regen oder Löschwasser – je nachdem…) und dann wachsen neue Bäume. Die Natur ist so clever! 


Linda ist übrigens auch eine prima Köchin. Das ist das erste Mal, seit ich in der Weltgeschichte herumreise, dass ich mich offiziell aus Vegetarierin ausgebe; es scheint gut zu funktionieren! Inoffiziell esse ich manchmal trotzdem noch Fisch & manchmal Fleisch, aber nur wenn ich es vorher sehe und Lust drauf habe. Ich  habe es satt bei den Hosts komisches Fleisch serviert zu bekommen, das ich dann nur rauspicken muss (oder, um höflich zu sein, auch runterwürgen ohne zu kauen). Hier bekommt man typischerweise entweder Würstchen (super eklig! Kann man sich in Deutschland nicht vorstellen, was hier als „Wurst“ verkauft wird. Eigentlich nur komprimiertes Fett) oder Huhn (am Knochen – an Beinen, Brustkorb oder an den Flügeln). Manchmal auch andere Sachen, aber das sind so die Haupt-Fleischmahlzeiten, auf die man trifft. Und nach denen ich mich meistens auch nicht sehr gut fühle. Also warum nicht Gemüse und Obst und Getreide essen; ist eh viel leckerer. 


Jetzt sitze ich in der Sonne hinter unserem Haus – wir haben liebliche 26 Grad, aber nur nach einem ziemlich schmuddeligen Morgen mit 12 Grad und Nieselregen – und genieße die Wärme auf meiner Haut… alle Dornen, die ich mir heute Morgen eingefangen habe, wurden professionell entfernt… die Füße sind hochgelegt und neben mir steht ein Teller mit Wassermelone und eine Packung Nacho-Chips… ich höre das Meer rauschen (nur 3 km von hier) und Grillenzirpen und die ganzen bekloppten tropischen Vögel. Insbesondere die Krähen (ja, ich weiß, nicht tropisch) klingen hier total anders als in Deutschland! Der lustigste Vogelschrei, den ich je gehört habe; ich konnte erst gar nicht glauben, dass er von Krähen produziert wird…. Und es gibt Emus. Wilde Emus. Sehr lustige Vögel, und viel größer als ich dachte. Die laufen hier einfach so rum… 


Uns gefällt es mittlerweile so gut hier, dass wir Linda und Dave fragen, ob wir länger bleiben dürfen, und zu unserer großen Freude sagen sie Ja. Sie haben noch keine anderen Helfer "gebucht" und wir können bleiben, bis sie nächste Woche in den Urlaub fahren. Hier wird zwar relativ viel gearbeitet (durchschnittlich 5-6 Stunden pro Tag), aber es ist schöne (wenn auch anstrengende) Arbeit. Landschaftsgärtnern könnte man es nennen, mit Mulch und Farnen und Palmen und Kieselsteinen und großen Steinen und Statuen und so. Das Anwesen ist sehr ordentlich und sauber und die ganzen Garteneckchen sind superfein und hübsch hergerichtet – oder wir richten sie dementsprechend :)

Nachmittags fährt uns Dave gerne, „wohin wir wollen“. Bei mittlerweile herrlichen 30 Grad (kein Nieselregen und keine 12 Grad mehr am Vormittag) bietet sich der Strand natürlich an. Hier gibt es zahlreiche Strände, zwischen denen wir wählen dürfen, aber einer der schönsten ist sicherlich der Strand an den French Narrows im Marlo Coastal Reserve. Ein paradiesisch schönes Fleckchen Erde ist das. Der berühmt-berüchtigte Snowy River fließt hier in den Ozean, das heißt man läuft einen wunderschönen Bushwalk durch Gumtrees und Pinetrees und Eukalyptus hinunter zum ersten Fluss – er ist sehr seicht und warm und voller kleiner Fischchen, und ich weiß eigentlich nicht was er da soll – weiter über einen etwa 1 Meter über dem Boden gebauten Pfad, der die Flora und Fauna da unten schützen soll (und vermutlich auch Besucher VOR der Fauna schützt), bis zum Snowy River. Er ist unheimlich friedlich und ruhig und tief, und angesichts der Pelikane und Robben, die wir hier sehen, ist er offenbar auch sehr fischreich. Den Fluss trennt nur ein Wall aus gelbsandigen Dünen vom Meer, und wenn man den durch- bzw. überquert hat, steht man an einem schätzungsweise 11-12 Kilometer langen Sandstrand am Meer. Und auf diesen schätzungsweise 11-12 Kilometern Sandstrand ist man der einzige Mensch weit und breit. Man stelle sich das mal vor. Einfach unglaublich schön. 

You have a choice: Snowy River or Pacific Ocean?

Das Meer ist ziemlich wild hier, starke Strömungen und Wellen, und wenn man nicht aufpasst, wird man zuerst Richtung Meer von den Füßen gesaugt, so lange, bis eine riesige Welle kommt – und dann von der Welle in die andere Richtung gen Strand gespült, auf den Bauch oder Rücken geklatscht und über den Sand geschrubbt. Man fühlt sich wie in einer Waschmaschine, aber es macht riesigen Spaß.

Blubb.
Ich bin so fasziniert vom Meer. Mal ist es ganz ruhig, liegt da im tiefsten Frieden und der endlosesten Weite, die man sich vorstellen kann; mal ist es aufgewirbelt und fröhlich und schwappt in kleinen Wellen vor sich hin; mal ist es mächtig, brausend, tosend, gegen Felsen klatschend, sprudelnd, in weißer Gischt; und heute ist es temperiert-verspielt und, wenn man Personifikationen mag, sehr humorvoll. Ich muss unheimlich viel lachen über die Spielchen, die das Meer so mit mir anstellt :D Herrlich! 


Ich sende euch ein paar der wundervollen Sonnenstrahlen nach Deutschland – die vom Himmel und die aus meinem Herzen! :)

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