Dienstag, 29. Januar 2019

Primal Instincts



Ich erlaube mir die Tage ganz und gar, in die mystischen Tiefen meines Seins einzutauchen… Oh Gott, klingt das esoterisch. Ich grinse. Ein solcher Startsatz ist sozusagen Garant dafür, dass gleich nach dem ersten Satz keiner weiterliest – genauso gut könnte ich den Text beginnen mit „Einmal, im Ferienlager“…..

Was tut der kluge Entertainer da? Einfach ein paar schöne Fotos von leicht bekleideten Frauen im Meer einfügen. Egal, ob es etwas mit dem Thema zu tun hat oder nicht :D

Bodyboarding before…

...and after :D

Okay. Anyway. Falls du immer noch liest, herzlichen Glückwunsch. Was ich gerne mit dir teilen würde, ist nicht so einfach in Worte zu fassen. Dafür werde ich den Text mit lustigen Fotos spicken, die schön anzusehen sind, versprochen. Ich werde sozusagen Parallelgeschichten erzählen - eine mit Bildern, die das erzählen, was ich zur Zeit so erlebe - und eine mit Worten, die aus vielen anderen Geschichten besteht, wie ein Puzzle aus Augenblicken. Ist ja mein Blog, ich kann machen was ich will :D 

...and in between. It's called WILD Coast for a reason. :D 
Ich komme mir ein bisschen vor wie in einem Film, wo unter epischer Schlussmusik der Hauptdarsteller endlich die Puzzleteile der höchst raffinierten Verschwörung zusammensetzt, die er den ganzen Film über versucht hat zu entschlüsseln und zu verstehen. Und wenn der Film gut gemacht ist, überrascht das Endpuzzle auch den Zuschauer. 


Mein Endpuzzle ist ein Gefühl, aber auch Wissen, und Mystik, und Verständnis, das immer tiefer sinkt wie ein U-Boot in den Ozean. Ich habe mich so oft gefragt, warum ich so bin; warum Afrika mich ruft; warum ich nicht einfach wie jeder (fast jeder) andere in Deutschland meine Füße auf den Boden stellen und ein gutbürgerliches gemütliches kleines Leben aufbauen kann; warum ich immer wieder in die Wildnis will, Erde unter den Füßen spüren, Lagerfeuer machen, mir den Nacken in der Wüste verbrenne und den Mond anheule. All diese Momente ziehen jetzt, während der epischen Schlussmusik, in Flashbacks vor meinen Augen vorbei – all die Momente, in denen ich so unfassbar „da“ war. So roh, so real, so glücklich. Glückliche Momente habe ich tausende, aber nur wenige sind in diese Kategorie einzuordnen, die ich versuche zu beschreiben. Momente, in denen mein Herz plötzlich zu vielen Herzen wird, als hätte ich nicht nur ein einziges, sondern tausende, Millionen Herzen in meiner Brust, zeitlos schlagende Herzen, die jetzt sind, die aber auch vor Tausenden von Jahren schon da waren; Momente, in denen ich zu einem Tier werden könnte, in denen ich spüre, dass ich ganz eins bin mit mir und allem um mich herum; dann könnte ich alles sein, und ich spüre, wie ich gleichzeitig Klauen, Kiemen und Flügel haben kann, wenn ich will; Momente, in denen ich so tief, tief eintauche in etwas ganz Essenzielles, Urzeitliches; in denen mein Bewusstsein ganz ohne Zutun meiner Gedanken rückmeldet „Das ist es.“ Ich habe immer versucht, zu verstehen, was das soll – und nie begriffen, dass es eigentlich ganz logisch ist. 


***

Ich kauere mit offenen Haaren vor einem Lagerfeuer und grille mit Kräutern gefüllte Champignons. Um uns herum ist es stockdunkel, und die Düfte und Geräusche des afrikanischen Busches füllen all unsere Sinne. Ein Leopard streunt ums Camp herum. Wir hören, wie uns sein charismatisches Brüllen (es ist eher ein heiseres Raspeln) umkreist, und die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf. Der Sternenhimmel über uns ist endlos. Ich schiebe die Glut zurecht, der Duft der gebratenen Pilze steigt uns in die Nase. Die Augen meines Begleiters mustern mich durch den feinen Rauch des Feuers, und ich spüre, wie er jedes Detail an mir wahrnimmt und mich regelrecht verzehrt. Diese Frau mit offenem, wildem Haar, die auf dem Feuer im Busch Essen macht, während die Raubkatzen brüllen.



***

Ich liege warm eingepackt auf dem Boden im Sand der namibischen Wüste unter dem endlosesten Sternenhimmel, den man sich vorstellen kann. Es ist drei Uhr morgens und ich bin gerade durch ein Geräusch recht nahe bei mir aufgewacht. Ohne Zweifel kommen schwere Schritte auf mich zu, und ich lausche ihnen eine Weile, während der kühle Nachtwind leise säuselt. Wir haben Vollmond, und die Nacht ist so hell, dass die skelettartigen Köcherbäume Schatten werfen. Ich fühle mich vollkommen friedlich. Nach einer Weile schäle ich mich langsam aus meinen Decken und laufe barfuß und vollkommen nackt auf den Sand hinaus. Die Herde ist angekommen, und sie stöbern friedlich, als würden sie das jede Nacht tun, im Camp herum, prusten in die Asche des ausglimmenden Lagerfeuers, rubbeln ihren Hals an den Köcherbäumen. Zwei Fohlen liegen neben meinem Schlafsack im Sand. Ich greife ruhig nach einigen Halftern und fange an, sie den Pferden anzulegen. Einige von ihnen lassen sich noch immer nicht von mir anfassen, aber ich weiß, welche ich führen muss, damit die Herde uns folgt. Ich bin müde und schlaftrunken, aber kann die Gelegenheit nicht verstreichen lassen – ich muss die Pferde in den Pen bringen, wer weiß, wann ich sie sonst das nächste Mal sehe. Nackt, wie ich noch immer bin, führe ich die drei Stuten an. Wir haben etwa einen Kilometer zu gehen. Meine Füße pflügen den Sand, der noch immer die Wärme des Tages speichert, und ich spüre den Atem der Stuten auf meinem Po. Sie folgen mir, alle zusammen. Ich muss mich nicht umdrehen, um das zu sehen – ich beobachte die Schatten, die der Mond neben uns wirft. So spaziert unsere kleine Prozession nach oben zum Pen, vollkommen still, vollkommen selbstverständlich, als würden wir das jede Nacht um drei Uhr tun.




***

Nachdem wir drei Stunden die einsame Küste entlanggelaufen sind und eine gute Kilometerzahl zurückgelegt haben, pausieren wir für einen kleinen Snack und eine Abkühlung im Ozean. Das laute Rauschen ist ein so selbstverständliches Geräusch geworden, meditativ, Schritt für Schritt im weißen Sand. Mein Nacken glüht, und meine Füße fühlen sich steif an vom Barfußlaufen auf Sand. Wir haben noch eine Weile vor uns. Meine Begleiterin zeigt mir eine spezielle Art von Muschel, eine fingernagelgroße, handlich abgerundete Muschel, die schwarzweiß gescheckt ist und einen leichten Stich von Hellgelb hat, und erklärt mir, dass die Muschel früher – sehr viel früher – zum Handeln benutzt wurde; sie war sozusagen die Währung damals. Ich hebe sie auf. Dann sehe ich noch eine, unter all den herrlichen Muscheln, und picke sie heraus. Und noch eine. Und noch eine. Ich nehme meine Kappe ab und fange an, die kleinen gescheckten Muscheln zu sammeln. Ich habe keine Ahnung, warum. Ich will diese Muscheln, und nur die, und ich freue mich so sehr, dass ich plötzlich so viele davon finde. Es ist wie ein Rausch, es fühlt sich so richtig an, so perfekt, und ich beobachte meine eigenen Gedanken, die nur hin und wieder dazwischen grätschen und mich fragen, was ich da eigentlich gerade mache? Und wieso ich nicht aufhören kann? Es fühlt sich an wie ein Fressanfall nach einer Nulldiät, und genauso befriedigend; während die anderen bereits weitergehen, bin ich wie hypnotisiert. Ich muss diese Muscheln einsammeln.

Erst, als meine Begleiter am Horizont verschwunden sind, kann ich mich losreißen. Ich habe nicht gegessen, nicht gebadet und nicht geruht, aber ich fühle mich auf eine tiefe Art befriedigt. 



***

Es war Vollmond heute Nacht, und die Gezeiten sind daher besonders extrem – die Flut kommt so weit den Strand herauf wie sonst nie, und weil bei Ebbe das Wasser so weit zurückgezogen wird wie sonst nie, schwemmt das Meer um diese Zeit eine Menge Zeugs an, was sonst nicht angeschwemmt werden würde. Ich jogge den Strand entlang, lausche meinem Atem und den Wellen, die zu einem einzigen Rhythmus verschmelzen. Ein rostiges Stück Schiffswrack liegt am Strand, den ich fast täglich besuche. Seltsam, und mystisch, irgendwie – es muss schon eine lange, lange Zeit am Meeresboden gelegen haben, und plötzlich bringt das Meer eine so starke Energie auf, dass es nach oben geholt wird. Während ich weiterlaufe, spüre ich genau, wie es alles widerspiegelt, was ich seit gestern auch in mir erlebe – eine Urkraft spült plötzlich Altes, Verborgenes aus tiefsten Tiefen nach oben und trägt es an den Strand, wo es liegenbleibt auf dem weißen Sand, vollkommen exponiert, als würde es sagen „Hier bin ich. Schau mich jetzt an.“ Ich bin aufgewühlt, wähnte mein eigenes altes Schiffswrack sicher und ewig in den Tiefen des Ozeans; der Mond belehrt mich eines Besseren. Ich spüre, wie alles verbunden ist, wie ganz alte, mystische Kräfte in mir walten, dieselben, die auch den Ozean bewegen – und wir sind so sehr eins, dass ich spüre, wie Delfine durch meine Blutbahn schwimmen, und wie ich tiefer, und tiefer, und tiefer in mich selbst hineintauchen kann, in mein eigenes, eiskaltes Blau. Ich beende meinen Lauf, stretche meine Beine – und spüre plötzlich, aus all der aufgewirbelten Verwirrung, das vollkommen irrationale, aber sichere Bedürfnis zu jaulen wie ein Wolf. Ich schaue mich verstohlen um, bin ganz alleine am Strand – und gebe dem Bedürfnis nach. Ich klinge wie der Nachbarhund aus meiner Kindheit, wenn die Rettungswagen vorbeifuhren. Es nimmt mich mit wie ein Ozeanstrom, und ich gebe mich ganz meinem Gejaule hin, heule den Ozean an wie ein Wolf, in einem Rausch, den ich nicht einmal versuche mit meinen rationalen Gedanken zu verstehen. Ich weiß, dass ich etwas abgebe an den Ozean, und dass er mir etwas zurückgibt, und ich bin ich, und ein Wolf, und der Ozean. An der endlosen Linie, die das Meer vom Himmel trennt, sehe ich die spritzige Fontäne aus dem Blasloch eines Wals nach oben schießen. Natürlich ist er da, er war schon die ganze Zeit da; und obwohl es mich nicht überrascht, flutet es mich mit einem extremen Glücksgefühl, als wäre mein Bruder heimgekommen, mit seiner riesigen Schwanzflosse und seinem fröhlichen Gesang, der mein Wolfsjaulen beantwortet. Needless to say, als ich den Pfad vom Strand hinauf zum Hotel laufe, hat sich mein eigenes, altes Schiffswrack und all die Emotionen und Energien, die es mit an den Strand geschwemmt hat, vollkommen in Luft aufgelöst. 

  


***

Ich könnte noch viele solcher Momente beschreiben, aber diese drei geben ein Gefühl dafür, um welche Art von Moment es sich handelt. Das Gefühl kann ich nicht beschreiben, aber eins ist mir klar geworden – Afrika, die Wildnis, und solche Momente, das ist nichts, was ich erfunden habe. Das ist nicht eine kleine Liebhaberei von mir, die mir so viel Spaß macht, dass ich sie nicht mehr aufgeben will. Das hier geht viel, viel tiefer. Das ist urzeitlich, und primitiv, und purer Instinkt – ich bin mir sicher, wenn jemand meine DNA aufzwirbeln und Wort für Wort decoden würde, würde er genau diese Momente darin finden. Sammle Muscheln am Strand der südafrikanischen East Coast, wie es die Strandlopers so vielen Jahren getan haben, vor allem die Frauen, während die Männer fischen gingen. Genau hier, seriously, haben vor rund 100.000 Jahren unsere Ur-Ur-Ur-Großväter und -mütter, Homo sowieso, genau das getan, und nur weil sie das getan haben, existieren wir heute. In Mashatu, Botswana, vielleicht genau dort, wo ich meine Champignons gegrillt habe, haben vor 100.000 Jahren die steinzeitlichen San-Frauen das Essen zubereitet, was ihre Männer nach „Hause“ brachten, mit langem wildem Haar, unter den hungrigen Blicken der Männer. Unter dem Vollmond, bei Spring Tide, konnten unsere Vorfahren weiter in den Ozean eindringen als sonst, weil bei Ebbe das Wasser extrem zurückging – und mit dem Vollmond brachten sie die köstlichsten Köstlichkeiten zurück an den Strand, Abalone, Perlmutt, und Austern, die sie an den Stamm verfütterten – und anschließend, gesättigt, voller aphrodisierendem Protein, ging es zur Sache – kein Wunder, dass die Frauen ihren Zyklus nach dem Mond synchronisierten, und mit ihrem Zyklus auch ihre ganzen Instinkte und all die Weisheit, die tief, ganz tief aus dem Bauch kommt. Vor über 50 Millionen Jahren hatte Pakicetus, ein wolfsähnliches Land-Säugetier, die Eingebung zurück ins Wasser zu gehen, und über Millionen von Jahren entwickelte er sich schließlich zu einem felllosen, sehr viel größeren, ans Wasser adaptierten Säugetier, dessen Nasenlöcher zu einem Blasloch an der Oberseite mutierten – dem heutigen Wal. 



 Ich war mir die ganze Zeit nicht so bewusst, was ich hier mache; jetzt verstehe ich, dass ich dem unbewussten Ruf meiner DNA folge, uralten, primären Mustern, die sich in unserem Sein verankert haben und für die ich, aus irgendeinem Grund, besonders empfänglich bin. Ich bin sozusagen programmiert, das zu tun. Ich schmelze in diese Momente hinein, als wären sie das, wofür ich lebe, wofür ich mache, was ich mache – in Afrika, der Wiege der Menschheit, wo unsere haarigen Ururur(…..)eltern von den Bäumen herunter in die Savanne kamen, lernten, aufrecht zu gehen, Werkzeuge zu benutzen, und so weiter… ist das nicht verrückt?

Verrückt und mystisch. Und irgendwie auch auf seltsame Art und Weise faszinierend. Als würde ein unbewusster Teil von mir unbedingt herausfinden und erleben wollen, woher ich komme – und wer ich bin – aber das geht tiefer, viel tiefer, als nur bewusste Gedanken. Und dann werde ich wie von einem Magneten in solche Momente hineingesaugt und erlebe nichts als tiefes, primäres Glück; wenn man das Leben destillieren könnte, dann würde ich sozusagen die Essenz davon trinken. Tropfenweise, mit aufgestellten Härchen auf den Armen, mir genussvoll die Lippen leckend.



Das ist so cool.



Ich wünsche allen solche Momente.

Allen.



Prost, ihr Lieben.

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