Mittwoch, 3. Oktober 2018

Life Life Balance


Ich bin so froh, hier zu sein. Es geht so schnell, dass ich mich in Afrika zu Hause fühle, und dann habe ich das Gefühl, alles ist „normal“ und es gibt gar keinen Grund mehr zu bloggen.

Trotzdem gibt es natürlich tausend Gründe glücklich zu sein, und die Dinge wertzuschätzen, die ich „einfach so“ jeden Tag habe: Freiheit, Sonne, Wildnis, sauberes Wasser, Full Service, gute Gesellschaft, Sterne. Meine bereits heißgeliebte Morgenroutine sieht so aus, dass ich mit der Sonne aufwache, aufstehe, Wasser und einen Tee oder manchmal Kaffee trinke (Kenya hat phantastischen Kaffee!!! Und ich nutze ihn als Genussmittel, und nicht täglich, nur um sicherzugehen dass sich keine "alten Muster" einschleichen.) 
Dann streife ich raus in die "Wildnis". Ich bin oft ein, zwei Stunden unterwegs – es gibt ja kein Zeitlimit – und erkunde die Umgebung, finde Pfade, lese Spuren (wir haben Leoparden und Hyänen!), zerkratze mir die Beine, verlaufe mich, falle, schürfe mir die Knie auf, pflücke Blumen, scheuche Dikdiks, Paviane und Hadedas auf, schwitze, fluche, juble, klettere, krieche… und so weiter, jedenfalls ist es toll, und wild, und anstrengend. 

Wenn ich zurückgefunden und noch Kraft habe, mache ich manchmal noch ein paar Kräftigungsübungen, um nicht vollkommen auseinanderzufallen ;) – dann schnappe ich mir ein Handtuch, tappere hinüber zum Quellsee und schwimme mich ein bisschen locker. Auch auf den jeweils frischen Kratzern tut das Wasser immer gut, und es schwemmt all die klitzekleinen Blättchen, Zweigchen, Dornen und Staub von der Haut und aus der Kleidung (die Kleider sind eh meistens klatschnass, deshalb schwimme ich oft einfach so wie ich bin). Der Quellsee ist wunderschön, das Wasser blau-glitzernd und voller Fische, unter anderem auch diese kleinen, die es in Fisch-Spas gibt. Man muss nur die Füße ins Wasser baumeln lassen und sofort fangen sie an an einem herumzuknabbern. Soll ja gut sein, sonst gäbe es keine Fisch-Spas. Ich stehe aber nicht so auf Fischgeknabber und schwimme lieber etwas, dann lege ich mich meistens auf den Rücken und lasse mich ein bisschen treiben. Ich liebe es. Über mir der blaue Himmel, die herrlichen Urwaldbäume und oft genug Sykes oder Colobus Monkeys, die von Ast zu Ast springen, oder Bee-Eater (Vögel), die von den Ästen der Bäume aufs Wasser herunterdarten und Insekten fangen, die über der Wasseroberfläche fliegen. Dazu tausend Libellen, Schmetterlinge, und gelegentlich sogar der seltene Besuch einer Schlange.
neulich im Garten: Rudi, the boomslang*
*Boomslang, in Afrikaans: "Baumschlange", ist eine für Afrika sehr typische, scheue Schlangenart, die keine Lust hat Menschen zu beißen, wenn es sich vermeiden lässt. (Ich liebe Schlangen! Finde sie extrem faszinierend!) Sie legt Eier, ist tagaktiv, hat ihre Fangzähne nicht wie die meisten Schlangen vorn im Mund, sondern hinten im Rachen, und kann deshalb ihren Mund extrem weit öffnen (ich glaube 160-170° oder so!). Baumschlangengift wirkt hämolytisch, d.h. es stoppt nach und nach die Blutgerinnung, sodass man anfängt aus der Bissstelle, Wunden und Schleimhäuten (Nase, Augen, etc.) zu bluten, bis auch die inneren Organe anfangen zu bluten und die Niere vergiftet bzw. man innerlich verblutet. Das Gute ist, dass man vergleichsweise viel Zeit hat (24-48 Std.). 



Nach dem Schwimmen stretche ich mich in der Sonne, trockne ein bisschen, bis die klatschnassen Kleider nicht mehr tropfen, und mache mich dann auf zum Frühstück (in der Sonne, draußen! Natürlich!). Ananas, Bananen, Papayas, Avocados, all diese Früchte sind auf den lokalen Märkten für wenig Geld zu bekommen (umgerechnet rund 10 bis 30 Cent pro Stück, und das sind Mzungu-Preise, die machen sie nur, weil wir weiß sind – für Schwarze ist es günstiger). 
Avocado-Party für umgerechnet weniger als einen Euro - oh Gott, ich liiiiebe es!
Ich gewöhne mich langsam daran, überall wo ich hingehe eine "Attraktion" zu sein. Auf dem Markt in Maimahiu sind Lizzy und ich für gewöhnlich die einzigen Weißen, und alle wollen was von einem, alle rufen einem zu etc. – man gewöhnt sich an, einfach arrogant-ignorant miteinander quatschend durch die Menge zu laufen, als würde man gar nichts mitbekommen. 

Genauso wenn ich bei meinen morgendlichen Streifzügen auf ein Massai-Dorf treffe oder auf Menschen (was ich versuche zu vermeiden) – vor allem Kinder können es kaum fassen, aber auch Erwachsene starren, als hätten sie noch nie einen Weißen gesehen (haben sie vielleicht auch nicht). Für sie ist es unendlich komisch, dass eine (weiße) Frau so viel läuft. Ich genieße es nicht, so im Fokus zu stehen, vor allem nicht wenn ich schwitze und schmutzig bin und zerkratzt, aber ich versuche auch mich nicht deswegen einzuschränken. Anfangs habe ich das gemacht und dafür große Umwege hingelegt; einmal bin ich sogar vom Weg heruntergehechtet, weil zwei Motorräder sich näherten – ich springe hinter den nächsten Busch und voll in einen Pavian, der sich offenbar hinter demselben Busch aufhielt (how should I know?). Wir bekamen beide den Schreck unseres Lebens; er bellte mich erschrocken an, und ich konnte sein Fell an meinem Arm spüren, ehe er laut schimpfend durchs Gestrüpp davonpreschte.

Die Mittage und Nachmittage gestalten sich je nach Anlass – ich gehe oft nachmittags nochmal spazieren, weil das Licht so toll ist, wenn die Sonne sich senkt. Wir haben eine Kamerafalle, mit der ich gerne spiele – letzte Woche ist uns ein Leopard „in die Falle gegangen“, der offensichtlich eine Wildererschlinge um die Brust trägt… was ziemlich traurig ist. Wir überlegen, ihn zu fangen und zu versorgen.

Auf diesem Schnappschuss kann man deutlich sehen, wie der Thorax des Leoparden durch eine Wildererfalle eingeschnürt wird. 
Manchmal helfe ich Lizzy mit Zeug, was auf der Farm anfällt, zu früh geborene Babyziegen füttern zum Beispiel (das hört sich so rosig an, war aber traurig, das Kleine ist nach wenigen Tagen gestorben); leckeres veganes Essen aus lokalem Obst, Salat und Gemüse kreieren (Schokoladen-Mousse aus Avocados mit Ananas – aaaaaaah, ich könnte für immer und ewig davon leben!), Essen, Heu, Katzenfutter etc. kaufen, Katzen füttern und beschmusen, Kenya Wildlife Service Mitarbeiter hosten, (die uns helfen sollen den Leoparden zu fangen) und so weiter. Wenn es "nichts zu tun" gibt, arbeite ich an meinem Laptop… ich finde, ich habe eine fantastische „work life balance“ hier ;)

...und das aus der Party resultierende Avocado-Mousse mit Rohkakao, Kokosmilch, Cashews und frischer lokaler Ananas. Hätte mich reinlegen können!
Einfach nur hier sein, mit der benachbarten Massai-Community interagieren, in die umliegenden Dörfer „shoppen“ gehen, Sonne tanken, Sterne zählen, ausreichend schlafen, essen, bewegen, jeden Tag eine angemessene Portion Natur abbekommen, Blumen pflanzen, an einem tollen Projekt arbeiten – ganz ehrlich, mehr brauche ich nicht zur Zeit. Das ist genau das, was mir gut tut und was mir in Berlin gefehlt hat – schlichtes, unspektakuläres, unverkleidetes Leben, das in seiner Einfachheit eine so gigantische Fülle mit sich bringt, dass ich mich jeden Tag extrem reich und privilegiert fühle.

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