Samstag, 18. März 2017

Margret's Rock II


Dies ist die Fortsetzung meiner Mission, den weißen/hellen Felsen in der Bergkette auf der anderen Seite des Tales hinterm Catwalk zu erreichen. Mein erster Versuch endete damit, dass ich mich tierisch verlief und den Felsen im Dunkeln nicht mehr sehen konnte. Diesmal war ich besser vorbereitet: Wasser, Streichhölzer, Taschenlampe, Ersatzbatterien, ein T-Shirt zum Schlafen, 2 Handtücher und ein Deckenüberzug (ich plante, irgendwo draußen zu übernachten), Trockenfrüchte, Nüsse, ein Apfel, Totoro und natürlich die Acrylfarben und Pinsel, mit denen ich den Felsen meiner kürzlich verstorbenen Oma widmen wollte. Ich startete rechtzeitig, damit ich genug Zeit hatte, den Felsen bei Tageslicht zu finden und zu bemalen, UND ich behalf mich moderner Technik und zeichnete mit meinem Handy meine Route auf, damit ich im Notfall den Track zurückverfolgen und das Auto wieder finden konnte. Das Auto, das ich mitnahm, war diesmal nicht der Landy; den hatte Ben kurzfristig ausgeliehen und uns den uralten Isuzu dagelassen, der rund 700.000km auf dem Buckel hat und somit schwer ideellen Wert besitzt. Was er nicht besitzt, ist Allradantrieb, und so war ich relativ erleichtert, als ich nach ausgefuchsten fahrtechnischen Bemühungen sicher den Catwalk erreichte. Dank eines spontanen Impulses kurbelte ich die Fenster hoch, ehe ich losmarschierte… es sah ein bisschen nach Regen aus und es war extrem drückend heiß und schwül. Wir hatten bisher zweimal einen kurzen Regeneinbruch gehabt, der uns stets erfreut hat. Fünf Minuten warmes Getröpfel, und das war’s – mehr ist in der Halbwüste selten drin… Entgegen aller deutschen Instinkte habe ich mich daher stets dazu hinreißen lassen, in den kurzen Schauern in Top und kurzer Hose zu tanzen, um anschließend in der warmen Sonne wieder schnell zu trocknen und weiter zu schwitzen. ;)
ein "motiviert und abenteuerlustig"-Selfie ;) Kann losgehen!
Und so marschierte ich schwitzend los, im Sport-Bra und kurzer Sporthose, meinem Ziel entgegen… über die verschiedensten Steine, durch Flussbetten… das kannte ich ja alles schon. Aber diesmal war ich pünktlich. Ich wusste, ich würde „meinen Felsen“ vor Sonnenuntergang erreichen… womit ich nicht gerechnet hatte, war der größte Regeneinbruch ever. Nie zuvor hatten wir solchen Regen und auch nie wieder danach. Ich war noch etwa zwanzig Minuten von meinem Ziel entfernt, als der Himmel einfach seine Schleusen öffnete – und ich merkte schnell, dass es keiner dieser kurzen, herrlich erfrischenden Regenschauer war…
properly drenched!

Nach einigen Minuten völligen Durchnässtseins bemühte ich mich um ein wenig Schutz für meinen Rucksack… was in einer Steinwüste ohne Schatten nicht so einfach ist, denn wo kein Schatten ist, ist auch kein Regenschutz… schließlich schob ich meinen Rucksack unter einen Busch und wartete… und wartete… die Landschaft um mich herum wurde immer grauer und nebliger, und ich realisierte, dass meine Fünf-Minuten-Erwartung möglicherweise enttäuscht werden würde… letztlich kletterte ich ohne Rucksack weiter, und es war nun wirklich ein Kletteranstieg, bei dem ich aufgrund des Regens alle Viere benötigte. Als ich in die Nähe des Felsens geriet, merkte ich schon, dass die Atmosphäre sich veränderte… um zum Felsen zu gelangen, musste ich durch einige schwarze Felsenmauern pilgern, die sich wie die Wälle einer Festung über mir im Regen auftürmten… und ich gestehe, ich hatte großen Respekt. Ich merkte instinktiv, dass dieser Ort etwas Besonderes war, oder vielleicht hatte ich ihn zu etwas Besonderem gemacht, mit meinem Anliegen, ihn zu Omas Felsen zu machen. Ehe ich durch die erste Mauer kletterte, kehrte ich um und holte meinen Rucksack; der Regen war etwas schwächer geworden und der Himmel sah eher so aus, als würde es später weitergehen. Nach der ersten Mauer traf ich auf einen riesigen Felsen, der rund und massiv vor mir saß wie ein Wächter; und weil mich die Wanderung und das Wetter ehrfürchtig gemacht hatten, fragte ich ihn um Erlaubnis, zu Omas Felsen weiter zu pilgern ;) Im Halbnieselregen kletterte ich über die darauffolgenden schwarzen Mauern und erblickte „Omas Felsen“ endlich aus der Nähe: Es war ein riesiger Fels, etwa vier oder fünf Meter breit und sechs hoch, und talwärts lehnte eine weitere riesige Felsplatte gegen ihn wie ein halbes Spitzdach. Der Fels, der gegen ihn lehnte, war derjenige, den man von der anderen Seite der Täler so gut sehen konnte, weil er heller war als der Rest. Beide Felsen zusammen bildeten eine Art Zelt, und dankbar nahm ich deren Deckung entgegen und „verkroch“ mich im Felsenhaus. Es war ziemlich geräumig und vollgestopft mit Antilopenkacke – klar, wenn ich eine Antilope wäre, würde ich auch den einzigen schattigen Ort aufsuchen, den es weit und breit gibt! Heute Nachmittag war es aber ein Regenzelt statt Sonnenschutz… ich machte es mir gemütlich, was das Auspacken meiner „Schlafsachen“ beinhaltete, die ich dankbar nutzte um mich ein wenig trockenzulegen und aufzuwärmen. Ich wickelte ein Handtuch um mich herum und liebte es heiß und innig – ich glaube, während meiner gesamten Zeit in Namibia war dies das einzige Mal, dass mir tatsächlich fröstelte…
sitting next to "Margret's Rock" - ein prima Windschutz während der kurzen Regenpause

Nachdem ich festgestellt hatte, dass der Fels riesig war, begrub ich meinen Plan, ihn bunt zu bemalen, damit man es von weitem sehen konnte – außerdem war er klatschnass. Glücklicherweise war es zwischen den beiden Felsen (in meinem „Zelt“) trocken, und so schrieb ich, kletternd und auf den kleineren Felsen herumrutschend, mit roter Farbe eine Widmung auf den Felsen und hielt meinen eigenen kleinen Gedenkgottesdienst für meine Omi.

Es ist vollbracht!

Währenddessen ebbte der Regen etwas ab, und ich überlegte, ob ich meinen Plan, irgendwo zu übernachten, doch noch umsetzen sollte… ich erkundete die Umgebung und fand (überraschenderweise) ziemlich viel Feuerholz, da in jeden Baum, der es jemals gewagt hatte, auf diesem Felsenberg zu wachsen, der Blitz eingeschlagen hatte… also trug ich Holz für ein Feuer zusammen, klatschnasses Holz, und meine Hoffnung war zugegebenermaßen nicht riesig – aber sie starb erst, als ich meine Packung Streichhölzer aus dem Rucksack fischte und die klatschnassen Hölzchen aus den Resten der aufgeweichten Schachtel schälte. In diesem Moment setzte auch der heftige Regen wieder ein, diesmal jedoch begleitet von lautem Donner und Blitzen. Ich beschloss, besser doch nach Hause zu schwimmen und packte meine Sachen zusammen… in mein Handtuch gewickelt machte ich mich an den Abstieg, der sich extrem rutschig gestaltete und daher mehr Zeit benötigte als das Hochklettern. Ich hatte nur keine Lust, mir ernsthaft wehzutun und dann hier im Regen herumzuliegen… dazu kam die Tatsache, dass ich mich tatsächlich in einem aktiven Gewitter befand und alles hier oben, das 1m Größe überstieg, schwarzverkohlt und vom Blitz zerschossen war (ich bin 1,76m)… Glücklicherweise schaffte ich den Abstieg durch die schwarzen Mauern und steilen Felsen, ehe es so dunkel wurde, dass ich meine Taschenlampe auspacken musste. Selbst die Flussbetten gestalteten sich auf dem Rückw
eg als Herausforderung – alles war glitschig und spiegelglatt geworden, und zweimal schlitterte ich tatsächlich auf den Felsen herum. Außer Schürfwunden passierte zum Glück nichts. Nach einer Weile Laufen im Dunkeln und immer wieder „Relocation“, um sicherzugehen, dass ich in die richtige Richtung lief, sah ich Scheinwerfer weit draußen im Dunkeln. Ich wusste, dass das nur Red und Andrea sein konnten, die sich um mich sorgten… ich wusste aber auch, dass sie nicht so blöd sein würden, nach mir zu suchen. Hoffnungsloses Unterfangen. Hier draußen muss man einfach ein bisschen Vertrauen haben, wenn jemand zu spät kommt (auch mehrere Stunden)… Das Motto „she’ll be okay“ trifft es ganz gut. Andrea erzählte mir später, dass sie die Scheinwerfer zur Seite geleuchtet hatten, um mir Orientierung zu geben, und das hat auch funktioniert. Der Sturm bzw. das Gewitter habe von unserem Haus aus schrecklich ausgesehen, und die ganze Bergkette auf der anderen Seite (auf der ich herumkletterte) war plötzlich verschwunden…

Ich verlief mich ein bisschen gegen Ende, und ich marschierte in ein Flussbett, aus dem ich nicht mehr herauskonnte, weil es von hohen, glatten, nassen Felsen umrahmt war – aber am Ende des Flussbettes entdeckte ich etwas im Dunkeln, was ich in dieser Wüste nie erwartet hätte: Kleine Wasserfälle! Sie versickerten zwar im Sand des Flussbettes, aber ich konnte trotzdem meinen Augen kaum glauben… weil ich nicht das ganze Flussbett zurücklaufen wollte, kletterte ich schließlich einen der kleinen Wasserfälle hoch, kam dann aber auch nicht weiter… lange Rede, kurzer Sinn: Ich war nass, müde, meine Schürfwunden bluteten, meine Schuhe plätscherten und mir wurde tatsächlich langsam richtig kalt… dazu kam, dass man viel Zeit zum Denken und Empfinden hat, wenn man so alleine im Dunkeln und im Regen vor sich hin marschiert. Jeder Busch, jeder Grashalm klingt anders bei Regen und Wind, und interessanterweise kamen sogar einige (irrationale) Ängste zum Vorschein – nicht etwa realistische wie Angst vor Schlangenbissen, Skorpionen, Blitzeinschlägen oder Stürzen mit Knöchelverletzung, sondern ziemlich phantasiereiche, übersinnliche Ängste, die ich mit lautem Singen beantwortete :D Als ich nach langem Herumirren tatsächlich das Auto fand, erschrak ich beinahe vor seinen hellen, „optisch ungewöhnlichen“ Umrissen ;)

Die Frontscheibe des kleinen Isuzu war total beschlagen und der Regen knallte von außen dagegen – ich bin sicher, sowas haben die Scheibenwischer des kleinen Wüstenbrummers noch nicht oft gesehen! Mir war ein bisschen bange, ihn durch den völlig nassen Sand nach Hause zu fahren, so ganz ohne 4x4 und ohne irgendetwas zu sehen (die Reichweite der Scheinwerfer im Regen betrug etwa einen halben Meter!)… ich tuckerte also im Schneckentempo durch den Sand und streckte verzweifelt meinen (sowieso klatschnassen) Kopf aus dem Fenster, um zumindest drei Meter Sicht zu haben :D Es war trotzdem haarig und auf dem letzten Stück, das ziemlich felsig ist, verlor ich die Straße. Wenn es trocken ist, kann man die Straße auf den Felsen einigermaßen sehen, und Licht hilft auch dabei – aber bei Regen und im Dunkeln ohne Sicht hatte ich keine Chance. Ich fuhr den armen Isuzu über einige ziemlich große Felsen und fuhr ihn dann fest. Keine Chance weiterzukommen. Da ich nichts sah, konnte ich nicht rückwärts wieder zurückfahren, ohne zu riskieren, gegen einen größeren Felsen zu fahren und dem Auto womöglich ernsthaft zu schaden… also packte ich seufzend meine Sachen zusammen, stieg aus, tätschelte die Motorhaube des armen alten Isuzu und wanderte das letzte Stück zu Fuß zum Haus… ich würde ihn morgen bei Tageslicht aus dem Schlamassel befreien, in das ich ihn gefahren hatte. Um noch eins draufzusetzen, war das letzte Stück zum Haus ein anderer Boden, der durch den Regen zu Schlamm aufgeweicht war – ich sank mit meinen Turnschuhen knöcheltief ein!

Spätabends erreichte ich also endlich das Haus… klatschnass tropfend, blutend und voller Schlamm. ;) Nein, ich übertreibe :D Ich wurde herzlich und mit Umarmungen empfangen ;) Die Dusche war auch ziemlich schön, obwohl sie – natürlich – eiskalt war. Wenn es warm ist, ist das Duschwasser heiß – heute nicht! Sauber wurde ich trotzdem. Und ich habe meine Mission erfüllt: Der Fels auf der anderen Seite ist nun offiziell „Margret’s Rock“… und interessanterweise träumte ich die darauffolgende Nacht von meiner Oma – inklusive Beerdigung.

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