Voller
Stolz? Freude? Überraschung? kann ich bislang zumindest eins sicher berichten:
All unsere bisherigen „Erforschungs-Expeditionen” in Berlin, die Richtung
Zentrum gingen, haben wir zu Fuß zurückgelegt. (Die Lage der Wohnung ist
schlichtweg exorbitant!)
Sogar
zum Supermarkt zum täglichen Food-Shopping läuft man durch einen Park, der fast
direkt vor der Haustüre startet und wo man nebst
einfach-nur-entspannt-übers-Gras-schlendern-und-in-die-rauschenden-Baumwipfel-blinzeln
auch wunderbar Tischtennis und Federball spielen kann. Alles ist voller
Kastanienbäume, die ich doch so sehr liebe; aber natürlich kommen auch andere
Baumsorten nicht zu kurz, Buchen, Linden, Eichen, die einem beim
Sonnenuntergangsspaziergang im Tierpark namentlich vorgestellt werden, wo sie
fein säuberlich in Alleen gepflanzt sind.
Die
Spree ist nur einen Katzensprung entfernt und verbindet mit allem, was wichtig
und interessant ist – der spacige Berliner Hauptbahnhof, der „größte
Kreuzbahnhof Europas“, der in der Tat sehenswert ist. Visuell überschwemmt wird
man von Glas, mehrstöckig und in alle Richtungen fahrenden Zügen, Rolltreppen
und Lifts, internationaler Backpacker-Szene und, trotz dem sehr futuristisch
anmutenden Design auch einer erstaunlichen Funktionalität des Baus. Mit einem
Berliner Zug gefahren bin ich zwar noch nie – bisher gab es einfach keinen
Anlass, alles ist so schön nah zu Fuß – aber für den Hauptbahnhof lohnt es sich
;)
Ich
habe riesigen Spaß daran, einfach nur an der Spree entlang zu spazieren und zu
beobachten, was die Leute so machen. Sie bringen eine Flasche Champagner und
ihren Liebsten und stoßen am Spree-Ufer an, spielen Schach, setzen sich mit ein
paar Keksen auf die gegenüberliegende Uferseite vom „Haus der Kulturen der Welt“,
um dem dort stattfindenden Konzert zu lauschen, fahren Fahrrad, sind auf dem
Weg zu einem Event, oder sitzen einfach nur in Gruppen im Gras, picknicken,
reden und lachen.
Ganz normaler Berliner Alltags-Straßenverkehr... |
Irgendwann
kommt man dann im Zentrum Berlins an, mit Museumsinsel, Alexanderplatz,
zahlreichen „antiken“ Bauten und natürlich, überall, unübersehbar verstreut,
die Spuren und Überreste des Zweiten Weltkriegs und der Ost-/West-Geschichte.
Berlin hat unheimlich viel zu bieten und es gibt so viel zu sehen und zu
erfahren, dass es schwer ist zu behaupten, dass man jemals „durch“ und „fertig“
ist. Die Scharen von Touristen freilich, die in Bussen, Kutschen und
Fahrradmobilen durch die Straßen transportiert werden, klappern in ihrer
begrenzten Urlaubszeit nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ab: Checkpoint
Charlie, die Mauerreste, das Jüdische Museum, DDR-Gedenkstätten und –Museen,
Denkmäler für wahlweise ermordete Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle,
Schwerstkranke, Politiker, Künstler, … oder später DDR-Flüchtlinge, -Gegner
oder Soldaten, die sich weigerten, sinnlos in Menschenmassen zu schießen – wie
wir wissen, ist die traurige Liste beinahe endlos. Die deutsche Geschichte ist
nirgends so präsent wie hier in Berlin, und wenn man will, kann man sich
tagelang von ihr schockieren, erschlagen, belehren lassen.
Bücherverbrennung mit manischem Grinsen |
Ich
weiß nicht, wie anderen „Generationskollegen“ das erging, aber ich hatte
während meiner kompletten Gymnasialzeit das Gefühl, von allem, was um den 2.
Weltkrieg herum passierte, nur so überschwemmt zu werden – manchmal schon fast
ertränkt… Literatur in Deutsch, Fakten in Geschichte (und, weil die Lehrer
schonungslos das „deutsche Erbe“ an die Schüler weitergeben wollen, auch
grauenhafte, unzensierte Fakten), Randbemerkungen und –themen in nahezu jedem
anderen Fach… als wäre der Krieg gerade erst vorbei, als wären wir die erste
Generation, die all das aufzuarbeiten hat.
In
Berlin herrscht in der Tat der Eindruck, alles ist noch viel frischer, als wir
das in der Schule zu spüren bekommen haben. Es wird noch viel gebaut, Plätze,
wo jahrelang Mauerwüste und Todeszonen herrschten, werden teilweise noch immer neu
„ausgeschmückt“, es werden immer noch neue Denkmäler gebaut, Kränze und Blumen
niedergelegt. 14 Jahre scheinen zu kurz gewesen zu sein, um alles „abzuhaken“.
An vielen, vielen Plätzen ist Berlin noch immer eine große Baustelle.
Wie
es scheint, auch für die Welt. Berlin ist populär, vor allem offenbar unter
Europäern. (Auch wenn ich schon zweimal den typischen deutschen Spruch hörte „Also
das ist schon auffallend, überall diese Japaner!“ – Von was für „Japanern“
reden wir hier eigentlich? Wenn du die drei Asiaten meinst, die hier im Laufe
des Tages durchgeschlendert sind – hey mate, then you should go and see Sydney…)
Ich finde auffallend – positiv auffallend – dass nahezu mehr Englisch als
Deutsch gesprochen wird und man eigentlich alles – Kino, Kultur, Museum, Flyer,
öffentliche Informationen – in Englisch findet. Schön, schön! :)
Rechts im Bilde: Die älteste "Ampel" Europas :) |
Anyway,
ohne die schockierende deutsche Geschichte wäre nicht so viel los in Berlin,
that’s for sure.
Wir
hätten einen kulturell und architektonisch anmutigen Potsdamer Platz,
allerdings ohne Mauerdenkmal, ohne die Ausstellungsreihe „Zerstörte Vielfalt“,
wo Tausende von Berliner Künstlern, Politikern und sonstigen außergewöhnlichen
Menschen aufgeführt sind, die um 1933 herum entweder ihr Leben ließen oder das
Land verließen…
unusual perspective, would you have recognized the lady? |
Wir
hätten ein Brandenburger Tor, das ganz nett aussieht und durch das in den
frühen Jahren die Kutschen nur nach Klassen fahren durften (die „Royals“ waren
die einzigen, denen es gestattet war, durch den mittleren Bogen zu fahren).
visiting Charlie ;) |
Wir
hätten keinen Checkpoint Charlie, kein Juden-Memorial, keine Juden-, DDR- und Hitler-Museen,
keine Mauerreste, von denen Touristen immer noch Stücke abbrechen und von denen
viele bereits künstlerisch „verarbeitet wurden“, keine historisch gekleideten
sowjetischen oder amerikanischen Schausteller an jeder Ecke, mit denen man
entweder ein Foto machen oder einen „Original-DDR-Grenzübergangs-Stempel“ in
seinen Reisepass bekommen kann, oh, und vielleicht hätten wir auch keine Trabbis
und die Siegessäule würde immer noch dort stehen, wo Hitler sie im Rahmen
seiner „germanischen Planstadt“ abgerissen hat. (Immer vorausgesetzt, der 1.
Weltkrieg hätte trotzdem stattgefunden, ohne den wäre ja „noch weniger los“.)
Wir
hätten vermutlich trotzdem zwanzig „Berlins-beste-Currywurst“-Buden, „Berlin
loves you“-T-Shirts und Fanartikel, Protestmärsche zur Legalisierung von
Haschisch in Deutschland mit anschließendem „Love, Peace and Weed“-Festival, eine
blühende Homosexuellen-Szene und eine Menge anderer Personengruppen, die durch
all die aus dem Nationalsozialismus resultierenden Tabus freier und
unantastbarer denn je sind (aber auch das Gegenteil existiert, nämlich Personengruppen,
die so schnell verurteilt sind, dass man nicht mal „piep“ sagen kann).
Alles auf einen Blick: Currywurst & Berlin loves you! |
Trabbi-Party! |
Mauer-Kunst... |
Oh,
und wir hätten auch trotzdem die Isländer-WM in Berlin, deren Ponyaufmarsch ich
natürlich nicht verpassen wollte :)
Icelandic Ponies singing the German National Hymn |
Okay,
eine Zusammenfassung: Berlin ist alles,
was man sich vorstellen kann. Bunt, grau, lebhaft, langweilig, deutsch,
interkulturell, von schweren Vorurteilen besetzt, vorurteilsfrei, ordentlich,
verrückt, laut, leise, städtisch, ländlich, stressig, erholsam…… and so on and
so on. Die Kunst besteht sicherlich darin, sich die richtigen Attribute für
sich selbst herauszupicken und nichts zu generalisieren. -> Somit eine gute
Schule fürs Leben, denn diese Kunst ist auf alles anwendbar…